Sage und schreibe 28 Parteien stehen zur Wahl, wenn die Niederländer am nächsten Mittwoch ein neues Parlament bestimmen. Doch im Zentrum der Aufmerksamkeit steht ein einziger Mann: Geert Wilders, der Rechtspopulist mit auffällig blondierten Haaren und ausfälligen Parolen.
«Es gibt zu viel marokkanischen Abschaum in Holland», schimpfte Wilders bei seinem Wahlkampfauftakt vor zweieinhalb Wochen. Er fordert die Schliessung aller Moscheen und ein Verbot des Korans, faktisch ein Islam-Verbot in den Niederlanden. Er geht damit sehr viel weiter als andere europäische Rechtspopulisten, wie zum Beispiel die Französin Marine Le Pen.
Mit diesem radikalen Kurs hofft Wilders auf seinen bisher grössten Wahlerfolg. In den vergangenen eineinhalb Jahren lag seine Partei für die Freiheit (PVV) in den meisten Wahlumfragen an der Spitze, im Moment deutet alles auf ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit dem amtierenden Ministerpräsident Mark Rutte von der rechtsliberalen VVD hin.
Wilders’ Aufstieg mag überraschen in einem Land, das als tolerant und weltoffen gilt, das sich gerne ein Multikulti-Image gibt. Und das bereits seit dem 16. Jahrhundert eine islamische Einwanderung kennt – unter anderem aus Indonesien, einer ehemaligen niederländischen Kolonie.
Islamkritiker getötet
Einer der Gründe für Wilders’ Aufstieg sei ein «enormes Trauma» in der niederländischen Gesellschaft, sagt der emeritierte Politik-Professor und Wilders-Biograph Meindert Fennema. Es habe 2002 seinen Anfang genommen.
In dem Jahr erschütterte die Ermordung des islamkritischen Politikers Pim Fortuyn die Niederlande. Fortuyns Mörder – ein Niederländer – sagte nach der Tat, er habe die Muslime schützen wollen. Zwei Jahre später wurde der Filmregisseur Theo van Gogh von einem Muslim ermordet. Er hatte einen islamkritischen Film gedreht.
«Die Menschen», sagt Fennema, «begannen zu denken: Wenn jemand gegen den Islam ist, läuft er Gefahr, ermordet zu werden.» Dazu komme, dass «unangenehme Probleme» früher «im Kreis der Mächtigen, im Konsens» gelöst worden seien: «Wenn Sie das Beispiel der Einwanderung nehmen, müssen Sie sagen: Man hat einfach nicht darüber geredet.»
Schweiz als Inspiration
Heute wird auch in den Niederlanden über den Islam und die Einwanderung kontrovers diskutiert. Im November, wenige Monate vor den Wahlen, drückte Ministerpräsident Mark Rutte ein Burkaverbot durch, es soll in öffentlichen Gebäuden und in öffentlichen Verkehrsmittel gelten.
Wilders’ Kernanliegen ist der Kampf gegen den Islam. Der Rest seines Wahlprogramm ist eine bunte Mischung aus linken und rechten Forderungen. Er will zum Beispiel das Rentenalter runtersetzen und mehr Steuergelder ins Gesundheitswesen stecken.
Gleichzeitig fordert Wilders den Austritt aus der EU und mehr Demokratie. «Die Schweiz ist eine Inspiration für mich», sagte er gegenüber Fernsehen SRF: «Ich möchte Volksabstimmungen in den Niederlanden einführen, wie Sie das kennen in der Schweiz.»
Doch in seiner eigenen Partei gibt es keine Demokratie. Wilders ist der Alleinherrscher und bestimmt als einziges PVV-Mitglied alles selbst: Programm, Kandidaten, Medienkontakte. Er selbst zeigt sich nur ganz selten in der Öffentlichkeit und gibt kaum Interviews.
«Er ist ein Kontrollfreak», sagt der ehemalige PVV-Parlamentarier Jhim van Bemmel, «und er beherrscht den Umgang mit den Medien». Jeder Auftritt Wilders’ sei ein Spektakel: «Er bekommt viel Gratiswerbung.»
Niederländer liberal, aber auch konservativ
Dass Wilders’ besonders radikale Positionen vertritt und einen ganz eigenen Stil pflegt, erstaunt den Politikwissenschaftler Fennema nicht. Die Niederländer seien ein liberales, aber auch zutiefst konservatives Volk. Im Zentrum stehe immer die Suche nach Kompromissen, dem Konsens komme eine zentrale Bedeutung zu.
Doch wenn jemand aus dem Konsens ausbreche und die Mitte der Gesellschaft verlasse, neige er gerne zu Extremen. Es sei kein Zufall, dass in den Niederlanden die Drogen- und die Schwulenszene besonders exzentrisch seien. «Auch die radikale Rechte ist bei uns radikaler als in anderen Ländern», sagt Fennema: «Wenn Sie aus dem Konsens ausbrechen, gibt es keine Grenzen mehr.»