Vor 15 Monaten hat Siruan Hossein in seiner Heimatstadt Amude, an der syrisch-türkischen Grenze gelegen, die Radiostation «Arta.FM» gegründet. Keine leichte Aufgabe, wie er sagt. Die Menschen seien sich nach Jahrzehnten unter dem Assad-Regime keine unabhängige Berichterstattung mehr gewohnt: «Sie kennen nur eine Stimme, die des Regimes. Und das wollen wir ändern.»
Hossein hält sich im Moment in der Türkei auf, schon bald will er wieder zurückkehren in seine kurdische Heimat. Diese wird aktuell von der heranrückenden IS bedroht, die Region um Erbil wurde zuletzt heftig bedrängt. Hunderttausende Menschen ergriffen die Flucht. Letzte Nacht weitete die US-geführte internationale Allianz ihre Militäroffensive gegen die Terrormiliz auf Syrien aus.
Gegenüber SRF äussert sich Hossein zur Lage in seiner Heimat.
SRF: Wie haben Sie von den Luftschlägen erfahren, wie haben Sie sie erlebt?
Wie jeden Morgen bin ich aufgestanden, habe auf mein Handy geschaut: Und habe die gute Nachricht vernommen – wir alle haben darauf gehofft, dass der IS-Terror endlich wirksam bekämpft wird.
Die Syrer, und vor allem die Kurden, können dies mit ihren Mitteln nicht bewerkstelligen. Der IS ist moderner ausgerüstet, hat auch schwere Waffen aus dem Irak nach Syrien gebracht. Deswegen Bedarf es der Militärschläge durch die internationale Gemeinschaft.
Seit Tagen, seit Wochen haben die Menschen darauf gewartet, dass die von den USA geführte Koalition Ziele der IS in Syrien angreift und zerstört. Je länger sich der Krieg in Syrien hinzieht, desto stärker gewinnt die Terrororganisation an Boden.
Haben sie Reaktionen oder Schilderungen aus den Gebieten, wo die Luftangriffe stattfanden?
Wir haben erfahren, dass viele Ziele der IS getroffen wurden. Es sind aber auch Zivilisten ums Leben gekommen – das ist Teil der Geschichte des syrischen Bürgerkriegs, dass es die Zivilisten trifft.
In den sozialen Medien kann man aber beobachten, dass in der Region Erleichterung vorherrscht. Es gibt aber auch kritische Stimmen, die nicht unbedingt dafür sind, dass die Amerikaner syrisches Gebiet bombardieren.
Konnten Sie mit Menschen sprechen, die diese Luftschläge heute Nacht selber erlebt haben?
Leider nicht. Die betroffenen Gegenden sind so stark von der IS kontrolliert, dass die Menschen sehr vorsichtig sind, mit Aussenstehenden in Kontakt zu treten – es wäre zu gefährlich. Die Kommunikation ist deswegen schwierig. Wenn es nicht zwingend notwendig ist, verzichten wir deshalb auf direkte Kontaktversuche.
Sie leben direkt an der syrisch-türkischen Grenze, in einem Gebiet, das eine sehr grosse Bedeutung für die Kurden hat. Wie nimmt man den heranrückenden IS wahr, hat die Situation Auswirkungen auf das tägliche Leben?
Die Kurden sind hier über drei Regionen verteilt. Bekanntermassen gibt es insbesondere bei Kobani fortwährende Angriffe der IS gegen kurdische Kämpfer. Diese haben mehr als 100'000 Menschen zur Flucht in die Türkei gezwungen. Weiterhin strömen Tausende Menschen aus der Region an die türkische Grenze.
Die Menschen haben Angst, dass die Geschichten über den IS im Irak auch hier Realität werden
Über diese erfahren wir von den Taten der IS: Sie köpfen Menschen, verkaufen Frauen – also genau die Geschichten, die man aus dem Irak gehört. Entsprechend gross ist die Angst, dass sich das nun auch hier fortsetzt. Die Menschen warten darauf, dass der IS zurückgedrängt wird, um in ihre Heimat zurückkehren zu können.
Wie gefährlich ist die journalistische Arbeit mit Sicht auf die IS? Sind auch sie bedroht?
Alle Journalisten, alle Medienschaffenden sind in IS-kontrollierten Gebieten bedroht und ein «beliebtes Ziel». Syrien ist das gefährlichste Land der Welt geworden, seit die IS weiter an Boden gewonnen hat. Hier, wo wir arbeiten, ist die Gefahr im Moment aber noch nicht so gross – das kann sich aber morgen schon ändern. Deswegen brauchen wir Unterstützung, ansonsten droht uns das gleiche Schicksal wie Kobani.
Braucht es also weitere Luftschläge, um den IS zurückzudrängen?
Die IS hat ihr Territorium in den letzten Monaten enorm ausgeweitet. Sie ist praktisch zum Staat im Staat geworden. Sie kann nicht mit einem kurzfristigen Manöver bekämpft werden; diese Terroristen müssen über lange Zeit, mit intensiven Luftschlägen bekämpft werden.
Man muss aber auch wissen, dass das syrische Regime die eigene Bevölkerung ebenfalls tagtäglich aus der Luft angreift – auch das muss unterbunden werden.
Das Interview führte Claudio Agustoni.