SRF News: Wie beurteilen Sie den Einsatz der OSZE in der Ostukraine?
Alexander Hug: Es ist jeweils einfach zu beweisen, dass ein gewaltsamer Konflikt besteht. Denn dann kann man die zerstörten Häuser oder die Toten zählen. Viel schwieriger ist es zu beweisen, dass die Präsenz einer Beobachtermission dazu beigetragen hat, dass sich die Lage entschärft hat oder ein Konflikt nicht entstanden ist. Tatsache aber ist, dass die OSZE-Mission in der Ostukraine von Anfang an robust angelegt war und einen Dialog mit allen Parteien geführt hat. Dass die Waffen jetzt in vielen Abschnitten der Kontaktlinie [Anm. d. Redaktion: Frontlinie] ruhen, ist tatsächlich auf die direkte Vermittlung der einzelnen OSZE-Beobachter zurückzuführen.
Wenn man die täglichen Berichte Ihrer Mission in der Ukraine liest, bekommt man den Eindruck, dies sei eine unmögliche Mission: Oftmals erhalten Sie keinen Durchlass, Sie werden beschossen, viele Gebiete können Sie gar nicht begehen. Haben Sie sich zu viel vorgenommen?
Als die Mission im Frühling 2014 von den 57 OSZE-Staaten eingesetzt wurde, gab es in der Ostukraine noch keinen bewaffneten Konflikt. Ihr Auftrag lautete deshalb, Fakten zu liefern und den Dialog zu führen. Das gleiche Mandat ist auch heute noch gültig, es wurde nie abgeändert. Trotzdem hat sich die Mission den neuen Realitäten angepasst, etwa, indem wir Spezialisten mit der entsprechenden Erfahrung engagierten oder die Ausrüstung anpassten. So verfügen wir heute über gepanzerte Fahrzeuge und persönliche Schutzausrüstungen. Dadurch sind wir zu einem glaubwürdigen Player in diesem Krieg geworden.
Holzstöcke wurden schnell von Metallstangen, Kleinfeuerwaffen, Kalaschnikows und schliesslich von Raketenwerfern abgelöst.
Trotzdem werden Sie in Ihrer Arbeit oftmals behindert. Wie können Sie sich trotzdem ein objektives Bild der Lage machen?
Was wir beobachten ist nicht immer im Interesse der Konfliktparteien. Denn vieles, was wir sehen, sind Verstösse gegen die Abkommen, die beide Seiten unterschrieben haben. Deshalb setzen sie alles daran, dass wir weniger sehen und vor allem nicht das sehen, was gegen die Abkommen verstösst. Dank Zugang zu Satellitenbildern und dem Einsatz von Aufklärungsdrohnen können wir allerdings auch viele der Gebiete beobachten, die wir nicht mit Bodenpatrouillen besuchen können. Diese Auswertungen fliessen ebenfalls in unsere Berichte ein.
Sie sind selber auch als Beobachter in der Krisenregion unterwegs und bekommen einiges mit. Deshalb die Frage: Wie gross ist der Einfluss Russlands auf die Separatisten in der Ostukraine?
Wir haben vielfach russische Soldaten in der Ostukraine gesehen und auch mit einigen von ihnen gesprochen. So interviewten wir etwa Personen, die an der Kontaktlinie von ukrainischen Soldaten verhaftet wurden. Sie bestätigten uns gegenüber, dass sie zu einer aktiven russischen Einheit gehörten, die mehrmals in der Ostukraine im Kampfeinsatz war. Etliche Male haben wir Spuren von gepanzerten Fahrzeugen gesichtet, die über die ukrainisch-russische Grenze führten. Auch haben wir uniformierte Leute mit Hoheitsabzeichen der russischen Föderation in ostukrainischem, nicht von der ukrainischen Regierung kontrolliertem Gebiet angetroffen.
Wenn alle Seiten sagen, man habe etwas Falsches getan, hat man etwas Richtiges getan.
Sie berichten von Verstössen, von Kämpfen, ziehen aber keine Schlussfolgerungen. Gleichzeitig werden Sie von beiden Seiten argwöhnisch beobachtet und kritisiert. Denken Sie, dass die OSZE-Mission in der Ostukraine tatsächlich als erfolgreich bezeichnet werden kann?
Wenn alle Seiten sagen, man habe etwas Falsches getan, hat man etwas Richtiges getan. Es ist wichtig zu betonen, dass die Mission alles daran setzt, objektiv zu bleiben. Wir sind nicht das Sprachrohr der einen oder anderen Seite. Wir lassen uns von niemandem diktieren, was wir berichten. Was wir schreiben ist, was wir sehen. Unsere Berichte werden im UNO-Sicherheitsrat zitiert, sie werden jeden Tag auf Japanisch übersetzt und an die Regierungsstellen in Tokio übermittelt. Das zeugt davon, dass die Berichte benötigt und auch gelesen werden. Sie sind die einzigen Quellen, von denen man ausgehen kann, dass sie objektiv sind und auf tatsächlich Gesehenem beruhen.
Sie sind nun seit anderthalb Jahren in der Ukraine im Einsatz. Was ist heute anders als im März 2014?
Die Ukraine hat sich in diesen 18 Monaten massiv verändert. Als ich in Kiew ankam, war an der Oberfläche noch nichts von dem Konflikt in der Ostukraine sichtbar. Es war immer noch möglich, nach Donezk zu fliegen – inzwischen ist der Flughafen ja zerstört. Unsere Mitarbeiter wohnten damals in privaten Unterkünften in Donezk und fuhren in normalen Fahrzeugen herum. Persönliche Schutzausrüstung, Helme oder gepanzerte Fahrzeuge waren kein Thema. Kurz danach änderte dies rapide. Es kam zu Besetzungen von Verwaltungsgebäuden in der Ostukraine. Die Besetzer bewaffneten sich – zunächst mit Holzstöcken, die schnell von Metallstangen, Kleinfeuerwaffen, Kalaschnikows und schliesslich von Raketenwerfern abgelöst wurden. Rasch spitzte sich der Konflikt stark zu, die Konfliktlinie zog sich über eine Länge von 500 Kilometern durch die Ostukraine. Die OSZE-Mission war mittendrin – und musste sich an die neuen Realitäten schnell anpassen. Hinzu kamen für die OSZE neue Situationen wie die vorübergehende Entführung von acht unserer Beobachter oder der Zwischenfall mit dem malaysischen Verkehrsflugzeug, das im Osten der Ukraine herunterkam. Unsere Mitarbeiter und ich selbst waren auf einmal damit beschäftigt, den Hilfskräften Zugang zur Absturzstelle zu verschaffen.
Das Gespräch führte Marc Allemann.