Marine Le Pen hatte sich viel vorgenommen. Die stärkste Partei werde man bei den Departementswahlen werden, versprach die Präsidentin des rechtsextremen Front National (FN) ihren Anhängern.
Dazu hat es nicht ganz gereicht. Dennoch sind die 25 Prozent für den Front National immer noch der höchste Anteil, den die Rechtsaussen-Partei je bei landesweiten Wahlen verbuchen konnte. In mehr als der Hälfte der Wahlkreise steht der FN-Kandidat an diesem Sonntag in der Stichwahl.
Der Front National hat sich als dritte Kraft in Frankreich etablieren können. Und mit seiner Chefin ist definitiv zu rechnen. Eine Umfrage der Zeitschrift «Marianne» zeigte Ende Januar: Marine Le Pen käme bei Präsidentschaftswahlen auf gut ein Drittel der Stimmen, deutlich mehr als alle anderen möglichen Kandidaten.
Keine guten Aussichten für die UMP und die Sozialisten – auch wenn Le Pen in einer Stichwahl chancenlos wäre. Doch wer ist die Frau, welche die etablierten Parteien das Fürchten lehrt? Eine unvollständige Spurensuche.
«Genauso blond wie ihre Schwester…»
1993. Das Jahr der ersten Gehversuche Marine Le Pens in der Politik. Die 24-Jährige tritt für den Front National bei den Parlamentswahlen an. Damals kennt sie noch kaum jemand.
In einem Porträt von «France 3» tönt das dann, ein wenig von oben herab, so: «Genauso blond wie ihre Schwester [Marie-Caroline], genauso durchdrungen vom staatsbürgerlichen Pflichtgefühl der Familie Le Pen.» Ob die politische Feuertaufe nicht zu früh komme?
Als Töchter von Jean-Marie Le Pen sahen wir uns unser Leben lang mit vielen Hindernissen konfrontiert.
Marine Le Pens Antwort: Von aussen betrachtet scheine das vielleicht so. «Aber als Töchter von Jean-Marie Le Pen sahen wir uns unser Leben lang mit vielen Hindernissen konfrontiert. Vielleicht hat uns das kämpferischer gemacht.» Die Le Pens gegen den Rest.
Noch verpasst Marine die Wahl. Die Juristin bekommt lediglich 11,1 Prozent der Stimmen. Ihr erstes politisches Amt erringt sie erst ein paar Jahre später. 1998 wird sie zur Generalrätin der Region Nord-Pas-de-Calais gewählt.
«Die Tochter eines Mannes, den man umbringen will»
Rückblende: An einem Novembermorgen im Jahr 1976 explodieren in dem Haus, in dem die Le Pens in Paris wohnen, rund 20 Kilogramm Sprengstoff. Die Zerstörung ist gewaltig – es mutet wie ein Wunder an, dass es nur sechs Leichtverletzte gibt.
Die Familie Le Pen bleibt gänzlich unversehrt. Die Täter werden nie gefasst.
Das Ereignis prägt Marine Le Pen. Sie erinnert sich später, bei der Vorstellung ihrer Autobiografie im Jahr 2006, so: «Mir ist bewusst geworden, dass ich die Tochter eines Mannes bin, den man umbringen will.»
Hier ist es wieder, dieses Gefühl: Wir gegen den Rest. Etwas, was sich auch im Titel ihrer Autobiografie spiegelt: «À contre flots» (ungefähr: Gegen die Wogen).
Vom Vater zur Tochter
Anfang 2011. Marine Le Pen ist als Politikerin längst etabliert. Ist Vize-Präsidentin des Front National, Abgeordnete im Europaparlament in Strassburg. Und doch steht sie erst jetzt vor ihrem bislang grössten Schritt. Dem aus dem Schatten ihres mächtigen Vaters.
Sie ist anders als ich.
Jean-Marie Le Pen gibt das Präsidium des Front National ab, nach 38 Jahren. Übernehmen soll Tochter Marine. Sie will die Partei modernisieren. Etwas, was nicht allen gefällt. Es gibt innerparteiliche Querelen. Doch Marine setzt sich durch.
Ein Journalist fragt den Vater: Wird ihre Tochter ihre Sache ebenso gut machen wie Sie? Die Antwort des damals 82-Jährigen: «Ich hoffe, dass sie besser sein wird. Sie ist anders als ich.»
Anders, das heisst hier vor allem: diplomatischer. Denn Jean-Marie Le Pen hat seine extremen Ansichten nie versteckt. Die Gaskammern? «Ein Detail der Geschichte». Die Besetzung Frankreichs durch Nazi-Deutschland? «Nicht besonders unmenschlich». Oder vor knapp einem Jahr zum Thema weltweites Bevölkerungswachstum: «Ebola würde das in drei Monaten regeln.»
Wir sind eine patriotische Partei. Wir verteidigen alle Franzosen.
Solche Entgleisungen sieht Marine Le Pen nicht gern. Sie achtet sorgsam darauf, dass die Partei «normal» daherkommt. Und versichert: «Der Front National ist weder antisemitisch noch rassistisch oder fremdenfeindlich. Wir sind eine patriotische Partei. Wir verteidigen alle Franzosen. Egal, woher sie kommen, egal, welcher Religion sie angehören.» Wir gegen den Rest – das ist bei Marine Le Pen zum Programm geworden.
Der «neue» Front National mit seiner gemässigteren Tonalität ist jedoch noch nicht bei allen Parteimitgliedern angekommen. Besonders in den sozialen Medien greift die Linie der neuen Chefin oft nicht (die linke französische Tageszeitung «Libération» hat hier einige Beispiele zusammengetragen).
Doch das ist nicht das einzige Problem von Marine Le Pen. Denn sollte ihre Partei dereinst tatsächlich mehr Verantwortung tragen, reichen reine Oppositionsparolen, reicht «Wir gegen den Rest» nicht mehr aus.