Schluss mit lustig. Spätestens seit Satiriker Jan Böhmermann unter Polizeischutz steht, ist manch einem Mitspötter das Lachen vergangen. Unweigerlich stellt sich da die Frage: Was darf Satire? Was darf sie nicht?
Der Fall Böhmermann
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Was darf Satire?
«Satire darf alles», sagt Katja Früh, Schauspielerin und Dramaturgin. Sie sei gerade da vonnöten, wo Europa Gefahr laufe, dem türkischen Präsidenten in «Duckmäuserei» und «vorauseilendem Gehorsam» zu begegnen.
Patrick Frey, Autor und Kabarettist, ist ganz ihrer Meinung. «Solange der Hund nach oben bellt», seien der Satire keine Grenzen gesetzt. «Gegenüber der realen Macht darf Satire alles. Und das ist der springende Punkt des Gedichts: Böhmermann greift Erdogan nicht als Menschen an, er beschimpft ihn als Machthaber.»
Freiheit unter Vorbehalt proklamiert derweil Jürg Halter: «Satire darf alles. Und was alles ist, definiert in letzter Instanz die Justiz von Fall zu Fall.» Doch der Literat und Performancekünstler betont: «Manchmal ist auch die Justiz ein Fall für die Satire.»
Der Geschmack ist individuell. Wird er als objektives Kriterium ins Spiel gebracht, ist das meist ein Alibi, um die Satire in ihrer Freiheit zu beschränken.
Eine Frage des Geschmacks?
Legitim oder nicht: Gemäss Patrick Frey gibt es auch «gute und schlechte Satire.» Schlechte Satire sei es nämlich dann, wenn ein Künstler Einzelmenschen beleidige, die keine reale Macht hätten.
Dass man den Geschmack als Massstab zur Beurteilung anwende, erachtet Katja Früh indes für unzulässig. «Eine solche Bewertung ist sehr gefährlich. Der Geschmack ist individuell. Und wird er als objektives Kriterium ins Spiel gebracht, ist das meist ein Alibi, um die Satire in ihrer Freiheit zu beschränken.»
Worum geht es beim Gedicht überhaupt?
Um die Legitimät und Qualität des Schmähgedichts zu erörtern, mag es helfen, nach dessen Inhalt, Form und Funktion zu fragen. Emil Steinberger liest in Böhmermanns Poem «einen berechtigten Frust über Erdogans Regierungsstil, aber mit falsch formulierten Sätzen ausgedrückt.»
Demgegenüber meint Jürg Halter: «Es geht offensichtlich nicht um das Gedicht an sich, es geht einzig um die Reaktionen, die damit provoziert werden sollen, um das Ausloten von Grenzen innerhalb einer Satire-Sendung.» Und nach Patrick Frey handelt es sich bei Böhmermanns Gedicht um eine «Meta-Satire» – «insofern, als es eine Satire ist über die ewig idiotische Frage, was Satire darf.»
Einen doppelten Boden erkennt auch Peter Schneider im Spottgedicht: Dieses sei ja via Einleitung in den Sprechakt der Distanzierung verpackt – «dass nämlich das, was gemäss Böhmermann folgt, eigentlich nicht gesagt werden darf.» Juristisch dürfte das aber, so der Psychoanalytier, kaum erheblich sein.
Im Endeffekt kommen die beiden Literaten zu je ganz anderen Schlussurteilen:
Peter Schneider: «Böhmermann legt «eine relativ simple Art der Satire vor, die auf Provokation und vorhersehbare Reaktion abzielt.» Auf diese Art könne man im Grunde jeden Diktator beschimpfen.
Dagegen Patrick Frey: «Das Gedicht ist ein kleines satirisches Meisterwerk».
Ich hoffe einfach, dass Jan Böhmermann das durchsteht. Dass er seine nächste Sendung abgesagt hat, ist nicht gerade vielversprechend.
Wie mutig ist Böhmermann?
Unentschieden auch die Frage, ob Böhmermann mit seinem Werk Mut beweist. So sagt Patrick Frey, dass ein Satiriker, je nach Land, den Kopf riskiere. «Dass aber Deutschland (wieder) zu diesen Ländern gehören soll, wage ich nicht, mir vorzustellen. Ich hoffe einfach, dass Jan Böhmermann das durchsteht. Dass er seine nächste Sendung abgesagt hat, ist nicht gerade vielversprechend.»
Optimistischer die Einschätzung von Peter Schneider: «Wenn man nicht im Machtbereich des Diktators ist, den man beschimpft, ergeht die Schmähung relativ risikolos.» Selbst eine milde Geldstrafe würden wohl seine Unterstützer übernehmen.
In Böhmermanns Gedicht werden auch antitürkische Ressentiments bedient. So dass auch Leute darunter leiden müssen, die es nicht verdient haben, darunter zu leiden.
Welchen Wert hat die Debatte?
Laut Patrick Frey ist die Debatte «insofern wichtig, als dass es jetzt nicht mehr um die Was-darf-Satire-Geplänkel zwischen Satirikern und Oberlehrern geht, sondern um Realpolitik.» Doch wen trifft die Satire? Wen schützt sie? Und welche Rolle spielt dabei das Gedicht?
Gemäss Katja Früh gilt es, europäische Werte zu erhalten – und Böhmermanns Gedicht ist das adäquate Mittel hierzu: «Was die Menschenrechte in der Türkei anbelangt, ist die Kanzlerin auf einem Auge blind geworden. Dass sie sich so beliebt machen muss und demokratische Selbstverständlichkeiten zur Disposition stellt, das muss man im Auge behalten.»
Laut Peter Schneider ist unsere Aufgabe hingegen, europäische Vorurteile nicht (wieder) aufkommen zu lassen – und Böhmermanns Gedicht stellt hier ein Risiko dar. «Man möchte Erdogan vielleicht nicht vor den Vorwürfen des Ziegenf*** bewahren. Aber in seinem Gedicht werden auch antitürkische Ressentiments bedient. So dass auch Leute darunter leiden müssen, die es nicht verdient haben, darunter zu leiden.»