Seit über 120 Jahren vermessen Wissenschaftler weltweit die Gletscher in grösster Präzision. Die Daten gehen zur Analyse an den Welt-Gletscher-Beobachtungsdienst der Universität Zürich.
Dessen Direktor Michael Zemp spricht von dramatischen neuesten Befunden: «Im Moment verlieren wir mit Blick auf die globalen Gletscher 75 Zentimeter an Eisdicke pro Jahr. Das ist doppelt so viel wie in den 1990er Jahren und das Dreifache der 1980er Jahre.
Das erste Jahrzehnt des 21. Jahrhundert hat damit laut Zemp die grösste je festgestellte Gletscherschmelze gebracht. Dahinter stehe ganz klar der mutmasslich vom Menschen verursachte Klimawandel.
Die von einigen Forschern zurzeit diskutierte Verlangsamung der Klimaerwärmung lasse sich jedenfalls an den Gletschern nicht erkennen. Im Gegenteil: Sie schrumpften schneller.
Zuerst in der Dicke, dann in der Länge
Ein Grund dafür ist, dass Gletscher besonders empfindlich auf Veränderungen im Klima reagieren: Sowohl Veränderungen im Schneefall als auch in der Temperatur wirken sich auf das Eis aus. Die Dicke des Gletschers reagiert zuerst. Jahre oder gar Jahrzehnte später schrumpft das Eis dann auch in der Länge.
So ist gemäss Zemp die Zunge des Aletschgletschers beispielsweise das Resultat der letzten 50 bis 100 Jahre Wetter: «Bis sich zeigt, wo das Klima tatsächlich steht, muss sich der Aletschgletscher also noch zwei bis drei Kilometer weiter zurückziehen.»
Auch grosse Zungen wie jene des Aletschgletschers werden drastische Veränderungen erleben.
Modellrechnungen zeigen, dass bei gleichbleibendem Klimawandel die Schweizer Gletscher bis Ende dieses Jahrhunderts nur noch als winzige Reste bestehen werden. Rund 90 Prozent des Eises werden unter diesen Bedingungen verschwinden.
Trinkwasser und Küstenregionen bedroht
Nur noch in den höchsten Schweizer Gebirgsregionen mit Gipfeln über 4000 Metern Höhe könnten sich unter diesen Bedingungen kleine Restgletscher halten. «Selbst die grossen Gletscherzungen wie jene des Aletschgletschers bis zurück hinter den Konkordia-Platz werden drastische Veränderungen erleben», ist Zemp überzeugt.
Die Veränderungen könnten bedrohliche Folgen haben für die Trinkwasserversorgung ebenso wie für die weltweiten Küstenregionen. Denn mit dem Anstieg des Meeresspiegels gingen mittel- bis langfristig die Küstenstädte verloren.
Soweit wird es hoffentlich nicht kommen. Denn noch liesse sich das Schmelzen vermutlich abbremsen.