Nach Latte Macchiato, Fixies und Hipstern erobern nun Veganer die Grossstädte – zumindest scheint das so. Zugegeben, so ganz neu ist der Trend zur etwas radikaleren Variante des Vegetarismus nicht. Aber in Zeiten von Klimaerwärmung und Ressourcenknappheit kann sich auch Otto Normalbürger offen zum Verzicht von tierischen Produkten bekennen.
Wäre man vor Jahren noch als esoterischer Spinner abgetan worden, ist man heute damit en vogue. Kein Veganer muss mehr Angst haben, wegen seiner Ansichten und Essgewohnheiten von der Öffentlichkeit geteert und gefedert zu werden. Wobei Letzteres für Hardcore-Veganer vermutlich eh nicht in Frage kommen würde.
Doch boomt vegan wirklich in der Schweiz? Einer der es wissen muss, ist Reto Frei von der vegetarischen Fast-Food-Kette Tibits. «Also wir spüren schon, dass immer mehr Gäste aus Gesundheitsgründen oder aber auch aus Überzeugung komplett auf tierische Produkte verzichten.»
Neben vegetarischen Speisen gab es am Tibits-Buffets schon immer rein vegane Speisen. Deren Zahl hat über die Jahre ständig zugenommen. «Das geht inzwischen soweit, dass wir an einem Tag der Woche nur vegane Speisen anbieten», sagt Frei.
«Vegan ist nicht die Rettung der Menschheit»
Generell seien die Leute viel unverkrampfter als noch vor Jahren. «Die Mehrheit hat heute kein Problem mehr zwischen veganer und vegetarischer Ernährung zu wechseln», so Frei. Dennoch werden Veganer seiner Ansicht nach auch in Zukunft ein Nischendasein führen.
«Und das ist auch gut so», meint der deutsche Ernährungsexperte Udo Pollmer. Zuweilen esse er zwar auch ganz gern Pommes mit Ketchup. Aber das sei es dann auch schon gewesen mit veganer Ernährung seinerseits. «Ich finde, dass diese Art zu Essen zutiefst unethisch ist», so Pollmer.
Dabei will der streitbare Experte Veganer gar nicht verteufeln. «Im Gegenteil – vegane Speisen können durchaus eine Bereicherung unserer Ernährungsgewohnheiten sein. Die Rettung der Menschheit sind sie aber nicht.»
Der überwiegende Teil der weltweiten Agrarfläche sei ohnehin nicht für den Ackerbau geeignet. Laut Welternährungsorganisation FAO könne er nur zur Tierhaltung verwendet werden, so Pollmer. Zudem sei es sinnvoller, Futtergetreide und Kartoffeln anzubauen anstatt Spargeln und Erdbeeren. Diese «Luxusprodukte» enthielten ohnehin kaum Nährwert oder Proteine.
«Sich von Schweinefutter zu ernähren, mag ethisch aufregend sein»
Und auch am Hauptargument der Veganer – dem Töten von Tieren – lässt Pollmer kein gutes Haar. «Erlogen und heuchlerisch ist das, was die da von sich geben.» Denn natürlich müssten bei der Produktion von Getreide oder Früchten auch Schädlinge wie Mäuse oder Ratten getötet werden – und das seien schliesslich auch Säugetiere.
Bei Lichte betrachtet sei die Datenlage für Veganer verheerend – die Ökobilanz mies. «Das Fatale ist ja, dass diese Menschen Soja nicht essen, weil sie es mögen – sondern um sich Anderen gegenüber moralisch überlegen zu fühlen», so der Ernährungsexperte. «Sich von Schweinefutter zu ernähren, mag ethisch aufregend sein, aber ich esse lieber Schinken.»
Lebensmittel dürfen auch etwas kosten
Veganer können mit derlei Aussagen wahrscheinlich eher weniger anfangen. Und vermutlich ist es ihnen auf Grund des Aufwindes auch egal. «Wir haben einen enormen Zulauf», sagt Raphael Neuburger von der Veganen Gesellschaft Schweiz. Einen kurzfristigen Trend vermag er nicht zu erkennen: «Vegan ist hier um zu bleiben».
Für einen Grossteil der Mitglieder stünden die ethischen Beweggründe im Vordergrund. «Immer mehr Menschen wird klar, dass nicht nur Fleisch, sondern auch Milch und Eier mit viel Leid und dem frühzeitigen Tod der Tiere einhergehen», so Neuburger. Dafür würden viele Veganer gern auch tiefer in die Tasche greifen.
«Vegan ist kein Trend wie eine Diät»
Denn eins ist klar: Vegan heisst nicht unbedingt billiger. «Subventionen greifen bei veganen Produkten nicht.» Deshalb sei Sojamilch zum Beispiel teurer als Kuhmilch. «Aber man muss auch nicht reich sein.» Sobald man sich mit den vielen veganen Produkten auskenne, seien günstiges und gesundes Essen kein Widerspruch, so der Veganen-Sprecher.
So wenig Schaden wie möglich an Mensch, Tier und Umwelt bei der Herstellung von Nahrung – so lautet das Credo der Schweizer Veganer. «Das ist kein Trend wie eine Diät, sondern das Ganze hat durchaus Hand und Fuss. Es ist vor allem nachhaltig», gibt sich Neuburger überzeugt.