«Es geschieht nie aus heiterem Himmel.» Das sagte Hans Rudolf von Rohr, Chef Sicherheits-Abteilung bei der Solothurner Kantonspolizei, am Montag in Olten an der ersten Schweizer Fachtagung zum Thema Bedrohungsmanagement.
Die schweren Gewalttaten seien meist ein Endpunkt einer krisenhaften Entwicklung, in deren Verlauf die späteren Täter Warnsignale im Verhalten und Kommunikation gesetzt hätten.
Rohr erinnerte an den Amoklauf im Zuger Kantonsparlament von 2001, an den Fall des renitenten Rentners in Biel im September 2011 oder an den Brandstifter in der Solothurner St.-Ursen-Kathedrale im Januar 2011.
In allen Fällen waren die Täter zuvor bei mehreren Behörden negativ aufgefallen. Niemand hatte jedoch die einzelnen Drohungen im Gesamtzusammenhang wahrgenommen und reagiert.
Risikopotential erkennen
Dies will das Kantonale Bedrohungsmanagement (KBM) von Solothurn ändern. Ziel des KBM sei es, das Risikopotential frühzeitig zu erkennen und zu handeln, erläuterte von Rohr. Das könne nur erreicht werden, wenn die entsprechenden Informationen weitergeleitet würden.
Das Prinzip des psychologischen Bedrohungsmanagements stützt sich auf die Schlagworte «Erkennen, Einschätzen, Entschärfen». Es geht darum, Eskalationsgefahren bei einzelnen Personen oder Gruppen möglichst schnell zu erkennen, einzuschätzen und schliesslich das Risikopotential zu entschärfen.
Durch die Identifizierung von Vorzeichen sei es möglich, mit einem systematischen und fachübergreifenden Bedrohungsmanagement viele solcher Tat zu verhindern, hiess an der von über 200 Personen aus der ganzen Schweiz besuchten Fachtagung.
Zentrale Fachstelle geschaffen
Der Kanton Solothurn erarbeitete mit Unterstützung des Instituts Psychologie und Bedrohungsmanagement im deutschen Darmstadt ein Konzept. Seit Anfang Jahr besteht eine Fachstelle mit einem Kernteam, dem verschiedene Fachleute des Kantons angehören.
In den Ämtern des Kantons und Gemeinden, bei Spitälern, Hochschulen und Opferhilfestellen wurden Ansprechpersonen bezeichnet. Diese wurden für Hilfestellungen zur Einschätzung bedrohlicher Situationen trainiert. Den Ansprechpersonen stehen Checklisten zur Verfügung, um Warnsignale einordnen zu können.
Zwei Umfragen bei Solothurner Verwaltungsangestellten ergaben, dass 60 Prozent der Befragten am Arbeitsplatz bereits Drohungen ausgesetzt waren. Ein Drittel erlebte sogar körperliche Gewalt. Es waren vor allem Wütende und Querulanten, die mit ihrem Verhalten auffielen.
Wenn eine Gewaltdrohung gegen eine Person ausgesprochen oder ein Suizid angekündigt wird, soll eine Meldung an das kantonale KBM-Team gemacht werden. Das gilt auch bei Fällen von häuslicher Gewalt.
Die Fachstelle erfasst die Personalien und scannt vorhandene Dokumente ein. Zwei Personen aus dem Kernteam schätzen den Fall ein und bauen einen Kontakt zur registrierten Person auf. Je nach Schwere der Bedrohung wird die Kantonspolizei informiert.
Im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit
Das Bedrohungsmanagement finde im «hochsensiblen Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit» statt, hielt von Rohr fest. Im Kanton Solothurn bestehen die Gesetzesgrundlagen bereits oder sollen geschaffen werden, um die Grunddaten von Personen mit grosser Gewaltbereitschaft erfassen und bearbeiten zu können.
Die Zugriffsrechte auf die Datenbank sind eng gesteckt. Der Polizeikommandant oder sein Stellvertreter, Pikett-Offiziere sowie das KBM-Kernteam dürfen die Daten einsehen.
Gemäss Angaben des Kantons besteht derzeit weder in der Schweiz noch in Europa ein vergleichbares Modell. Nirgends seien die Behörden, Ämter, Gemeinden, Schulen und zum Teil auch private Institutionen in diesem Bereich so gut vernetzt wie im Kanton Solothurn.