Erst im April 2013 hat sich der Bundesrat bei den ehemaligen Verdingkindern für das begangene menschliche Unrecht entschuldigt. Justizministerin Simonetta Sommaruga bezeichnete im Namen der Schweizer Regierung den früheren Umgang mit Verdingkindern als eine Verletzung der Menschenwürde, die nicht mehr gutzumachen sei.
Die späte Entschuldigung zeigt, wie schwer sich die Schweiz mit diesem dunklen Kapitel ihrer Geschichte immer noch tut. Erst seit einigen Jahren wird das Schicksal der Heim- und Verdingkinder nicht mehr tabuisiert. Unter anderem hat es der Film «Der Verdingbub» 2011 aufgegriffen.
«Es war die Hölle in Mümliswil»
Bis in die 1960er Jahre haben die Schweizer Behörden zehntausende Kinder ihren Eltern entrissen und verdingt. Sie wurden etwa an Bauernfamilien übergeben, wo sie wie Knechte arbeiten mussten. Sie wurden zum Teil geschlagen, misshandelt, mussten im Stall schlafen, hatten Hunger. Viele der ehemaligen Verdingkinder leiden bis heute.
Andere wurden in Kinderheime gesteckt, wo es ihnen aber nicht besser erging. Auf www.kinderheime-schweiz.ch berichtet jemand über seine Kindheit im Kinderheim Mümliswil: «Auch ich war im Heim in Mümliswil. Es war die Hölle. Schläge mit dem Holzpantoffel. Strafen wie z.B. Einsperren im Keller, auch nachts. Zwangs-Haare-Schneiden, und statt Aufgaben machen Spazieren über den Passwang. Ich war 12 Jahre».
Vom Heimkind zum Millionär
Das Internetforum Kinderheime-schweiz.ch ist ein Projekt der Guido-Fluri-Stiftung. Fluri selber verbrachte als Kind ebenfalls eine Zeitlang im Kinderheim Mümliswil. Er war im solothurnischen Thal als uneheliches Kind einer 17-jährigen Serviertochter geboren worden.
Heute ist Guido Fluri schwerreicher Unternehmer und leitet vom Kanton Zug aus seine Stiftung, die Gutes tut. «Es ist Teil meiner Therapie», sagt Fluri im Interview, der nicht näher auf seiner Erlebnisse im Kinderheim Mümliswil eingehen will.
Mahnmal gegen das Vergessen
Am Samstag eröffnet Guido Fluri nun in Mümliswil eine Gedenkstätte für Heim- und Verdingkinder. Er hat das 1973 geschlossene Kinderheim gekauft und umbauen lassen. Es präsentiert sich zum einen als Museum, als Wissensplattform, als Bibliothek, als Begegnungsort für Betroffene. Auf der anderen Seite stehen 28 Betten zur Verfügung, beispielsweise für Schulkassen, welche sich mit dem Thema Heim- und Verdingkinder auseinandersetzen.
Die Guido-Fluri-Stiftung bietet Interessierten Übernachtung und Verpflegung gratis an. Drei Personen werden in der Gedenkstätte in Mümliswil ständig zum Rechten schauen. Rund 1 Million Franken habe er in dieses Projekt investiert, gibt Guido Fluri Auskunft. Sein Ziel: das dunkle Kapitel der Schweizer Geschichte darf nicht vergessen gehen.