Ob geistig oder körperlich Behinderte, Menschen mit Downsyndrom oder Personen mit starken Depressionen: Sie alle können im Kanton Bern von einem neuen Modell profitieren. Bis jetzt wurden Institutionen und Heime für die Pflege der Behinderten bezahlt. Der Kanton Bern führt nun schrittweise ein, dass die Behinderten direkt mittels Kostengutsprachen das Geld erhalten und dann auswählen können, wie sie betreut werden. So können die Betroffenen direkt Einfluss nehmen auf ihre Betreuung.
«Ich habe mehr Möglichkeiten um zu bestimmen, was ich will», sagt Flavia Blatt. Die 27-Jährige hat wegen einer Hirnblutung eine Lernschwäche und die eine Seite ihres Körpers ist beeinträchtigt. «Ich möchte mir nicht einfach sagen lassen, was ich zu tun habe», sagt die junge Frau aus Münsingen selbstbewusst. Sie wünscht sich, dass sie dereinst mit anderen Personen in einem Haushalt leben kann. Weil sie fürs tägliche Leben Unterstützung benötigt, lebt sie derzeit noch bei ihren Eltern. Durch das neue Modell kann sie sich aber eher Hilfe leisten und Personen engagieren, welche sie unterstützen.
Was wirklich möglich ist, klären Fachpersonen eines unabhängigen Vereins mit den Betroffenen ab. Es gehe zwar um finanzielle Fragen. Doch im Vordergrund stehe, dass die Betroffenen neu so gut als möglich selber entscheiden können, was sie wollen, sagt Therese Zbinden vom Verein Indibe. «Die Betroffenen schätzen diese Gespräche sehr», so Zbinden. «Wir stellen den Bedarf im Gespräch und nicht am Schreibtisch fest. Das spüren die Behinderten.»
In Bern zeigt sich: Die Behinderten wollen vermehrt nicht mehr in Heimen leben, sondern in betreuten Wohngruppen oder sogar zu Hause mit Unterstützung wie bei der Spitex. Das stellt Ueli Affolter, Geschäftsführer des bernischen Heimverbands Social-Bern, fest. «Die Institutionen müssen sich darauf einstellen, dass die Leute nicht im Heim leben wollen.» Das bedeute nicht das Ende der vielen Institutionen. Doch: «Sie müssen Wohnungen anmieten, um dort die Menschen zu betreuen.»
Das Pilotprojekt im Kanton Bern ist Anfang Jahr gestartet. Die genauen Auswirkungen auf die Heimlandschaft können noch nicht abgeschätzt werden. «Wir wissen nicht, wie viel Personal es künftig braucht», sagt Ueli Affolter vom Heimverband. «Doch viele Menschen sind so stark behindert, dass sie auch künftig in einem Heim leben werden.»
(Regionaljournal Bern Freiburg Wallis, 17:30 Uhr)