Die europäische Polizeibehörde Europol hat vergangene Woche bekanntgegeben, dass in Europa in den letzten zwei Jahren über 10‘000 unbegleitete Flüchtlingskinder verschwunden sind. Jetzt zeigen Zahlen, die «10vor10» vorliegen: Auch in der Schweiz sind in den letzten vier Jahren insgesamt 240 minderjährige Asylbewerber zwischen 13 und 17 Jahren verschwunden.
Allein im letzten Jahr sind laut dem Staatssekretariat für Migration 76 unbegleitete minderjährige Asylbewerber «unkontrolliert» abgereist. Das sind fast doppelt so viele wie noch 2014. Damals waren es 47. Die meisten von Ihnen sind noch während des laufenden Asylverfahrens verschwunden.
Polizei wird benachrichtigt
Im Kanton Bern waren im vergangenen Jahr sechs Kinder aus Asylunterkünften verschwunden, wie Katrin Pfunder, Mitglied der Geschäftsleitung vom Asylheim in Belp erzählt. Sobald ein Kind mehr als 24 Stunden nicht erreichbar ist, gibt die Heimleitung eine Vermisstenmeldung an die entsprechende Kantonspolizei heraus.
Die meisten minderjährigen Asylsuchenden machen sich auf die Suche nach Verwandten. Doch Einzelfälle landen in der Kriminalität: «Von den Jugendlichen selber ist uns bekannt, dass es teilweise in den Empfangszentren Rekrutierungsversuche gibt in Zusammenhang mit Drogengeschäften», so Pfrunder. Aus diesem Grund seien altersgerechte Empfangsstrukturen wichtig, wo die Jugendlichen unter sich seien und es ein Schutzsystem gebe.
«Jeder Fall ist eine Tragödie»
Stefan Frey von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe sieht die steigende Anzahl der abgetauchten minderjährigen Flüchtlinge mit Sorge: «Jeder dieser Fälle ist ein menschliche Tragödie und inakzeptabel. Die Politik muss mehr unternehmen, um den Kindern grösseres Vertrauen in das Asylsystem zu geben.»
In Belp im Kanton Bern hat man die Betreuung der minderjährigen Asylsuchenden nun intensiviert. Inzwischen ist rund um die Uhr eine Bezugsperson für die Kinder anwesend.
Weniger Gesuche bei Verschärfung des Asylrechts
Während die Zahl der verschwundenen Flüchtlingskindern seit 2012 genau erfasst ist, weiss niemand, wie hoch die Dunkelziffer der nicht registrierten, minderjährigen Flüchtlinge in der Schweiz ist. Menschenrechtsorganisationen vermuten, dass mit den Verschärfungen des Asylrechts unbegleitete Flüchtlingskinder kaum mehr Gesuche stellen, sondern sich als Sans-Papiers in der Schweiz aufhalten könnten.