Die Nachricht tönt gut: Seit 2008 ist der Verkauf von Antibiotika für die Tiermedizin massiv zurückgegangen: Von 72 Tonnen auf 42 Tonnen. Ein grosser Teil dieser Medikamente kommt in der Tiermast zum Einsatz, bei Hühnern, Kälbern und Schweinen.
Die schlechte Nachricht: Ausgerechnet der Verbrauch von Reserve-Antibiotika geht kaum zurück. Diese Medikamente sind schlägkräftiger und in kleineren Dosen wirksam. Sie kommen zum Einsatz, wenn gängige Antibiotika den Tieren nicht helfen. Besonders bedenklich ist die Entwicklung bei zwei Klassen von Antibiotika:
Die Verwendung von Fluoroquinolonen, ein Breitbandantibiotika gegen Darmbeschwerden, hat seit 2008 nur um 6 Prozent abgenommen. Der Verbrauch der Cephalosphorine dritter und vierter Generation, die unter anderem gegen Hautinfekte wirken, stieg im gleichen Zeitraum sogar um 31 Prozent an.
Wenn wir diese Medikamente in der Tiermast schon einsetzen, können sie bei unseren Patienten nicht mehr eingesetzt werden.
Diese Zahlen sorgen bei Humanmedinzinern für Kopfschütteln. Der Einsatz von Reserve-Antibiotika in der Tiermast sei für den Menschen riskant, sagt Spitalhygieniker Andreas Widmer vom Universitätsspital Basel. Denn immer mehr Patienten sind Träger von multiresistenten Keimen. In so einem Fall sind Spitäler auf wirksame Reserve-Antibiotika angewiesen, die Bakterien noch bekämpfen können.
Andreas Widmer sorgt sich um die betroffenen Patienten: «Wenn wir diese Medikamente in der Tiermast schon einsetzen, werden die Erreger auch dagegen resistent und die Präparate können bei unseren Patienten nicht mehr eingesetzt werden.»
«Unsere Tierhaltung provoziert Krankheiten»
Das Problem der resistenten Bakterien ist nicht auf die Schweiz beschränkt. Nun kommt eine radikale Forderung aus Deutschland. Johannes Remmel, Minister für Landwirtschaft und Verbraucherschutz im Bundesland Nordrhein Westfahlen, sagt gegenüber «Kassensturz»: «Wir fordern ein Verbot der Anwendung von Reserve-Antibiotika in der Tiermast.»
Er hält es für einen grundsätzlichen Systemfehler, dass die Tiermast auf Masse setze und auf schnelle Gewichtszunahme: «Das provoziert Krankheiten, die behandelt werden müssen.» Für ihn seien die vielen Antibiotika-Abgaben auch ein Indiz dafür, dass das System nicht funktioniere.
Bund will bessere Statistik statt Verbot
Dagmar Heim vom Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Landwirtschaft BLV sagt, das Problem sei erkannt. Auch das BLV wolle die Entstehung von Resistenzen möglichst verhindern. «Deswegen sollte der Verbrauch von kritischen Antibiotika in Human- und Tiermedizin klar gesenkt werden», so Dagmar Heim.
Von einem Verbot halten die Schweizer Behörden aber nichts. Seit 2016 dürften Bauern Reserve-Antibiotika nur noch mit der Einwilligung des Tierarztes einsetzen und künftig müssen sie jeden Einsatz von Antibiotika melden. Der Bund will so erfassen, in welchen Ställen wie viele Antibiotika eingesetzt werden – bis jetzt kennt man nur die Gesamtmenge der verkauften Medikamente.
Diese Antibiotika entscheiden bei den Tieren über Leben und Tod.
«Aus der neuen Statistik wird man sehen können, wer Antibiotika verwendet: welche Betriebe, welcher Tierarzt, welche Produktionsformen. Auch für welche Indikationen, welche Krankheiten», erklärt Dagmar Heim. Sie ist zuversichtlich: Wenn jeder Landwirt sehen kann, wo er mit seinem Antibiotikaverbrauch steht, alleine schon dieses Bewusstsein sei ein Anreiz, Massnahmen zu ergreifen, dass man unter dem Durchschnitt liegt.
Auch für die Kälber geht es um Leben und Tod
Auch Tierärztin Corinne Bähler ist gegen ein Verbot von kritischen Antibiotika – im Sinne der Tiere: «Aus Sicht der Tiere und der Veterinärmedizin möchte ich sicher nicht, dass man diese Medikamente nicht mehr für Tiere brauchen darf. Diese Antibiotika entscheiden über Leben und Tod.»
Corinne Bähler ist Vorstandsmitglied der Gesellschaft der Tierärzte und mästet auf dem eigenen Hof Kälber gemeinsam mit ihrem Mann. Sie verabreicht etwa Kälbern mit einer Mittelohrenentzündung kritische Reserve-Antibiotika. «Ich verwende sie, wenn das Kalb geschwächt ist durch die Anlieferung, durch Stress oder Krankheit. Dann ist das Immunsystem schon reduziert und es braucht ein hochpotentes Medikament, das entscheidet, ob ein Kalb geheilt werden kann, ob es lebt oder stirbt.» In solchen Fällen seien kritische Antibiotika effizient und praktisch, weil sie Tierärzte in kleinen Dosen spritzen können.
So entstehen Resistenzen
Hat ein Tier einen bakteriellen Infekt, hilft oft nur ein Antibiotikum. Wenn es mehrmals Antibiotika erhält, können Bakterien dagegen resistent werden: Das Medikament hilft nicht mehr. Mit dem geschlachteten Tier gelangen auch resistente Keime in die Küche. Beim Zubereiten des rohen Fleisches können die resistenten Bakterien auf den Menschen übergehen. Jetzt wirkt das Antibiotikum auch beim Menschen nicht mehr.