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Schweiz «Arena»: Ein handfestes Problem zwischen Staat und Religion?

Der Fall Therwil hat für Furore gesorgt. Er wirft die Frage auf, wo zwischen Öffentlichem und Privatem Schnittfelder bestehen und wo unüberbrückbare Differenzen herrschen. Das prekäre Verhältnis debattieren in der «Arena» Menschen verschiedenen Berufes und verschiedener Glaubensrichtungen.

Die Sekundarschule Therwil (BL) hat zwei muslimische Schüler davon befreit, ihrer Klassenlehrerin die Hand zu geben. Geschüttelt wird nun doch noch. Keine Hände, aber Köpfe. Zuviel der Toleranz, sagen die einen. Zuwenig Gespür für andere Kulturen, monieren die anderen.

So verschieden wie die öffentliche Kritik ausfällt, so divers wird in der aktuellen «Arena» diskutiert – zum Thema «Schweiz ohne Gott».

Kein Thema, die Regel oder eine Selbstverständlichkeit?

Schriftsteller Charles Lewinsky wirft zunächst die Frage auf, ob das Ärgernis nicht eigentlich darin bestehe, dass dem Fall Therwil zu viel Bedeutung beigemessen werde: «Dass wir uns über einen solchen ‹Gugus› aufregen können, zeigt, dass wir ein glückliches Land sind.»

In der «Arena» diskutieren

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Doch Gerhard Pfister, Nationalrat (CVP/ZG), bezieht klar Position: Der Dispens sei auf keinen Fall zu akzeptieren. «Wir lernen in der Schule nicht nur Wissen, sondern auch, was Anstand ist.» Das Händeschütteln gälte es bei jenen durchzusetzen, die sich nicht an die «Anstandsübung» gebunden fühlten.

Ihm widerspricht Giuseppe Gracia, Informationsbeauftragter des Bistums Chur: Nur wenn ein entsprechendes Gesetz gölte, müsste der Händedruck durchgesetzt werden. «Erzwingen darf man es nicht. Es wäre peinlich für einen Staat, wenn er die Bürger zum Anstand zwingen müsste.»

Montassar BenMrad, Präsident Föderation Islamischer Dachorganisationen FIDS, begrüsst, dass überhaupt ein Austausch stattfindet: «Es gibt ein Defizit im Dialog. Die Debatte ist wichtig. Denn es herrscht in der Gesellschaft eine Angst vor dem Islam. Die müssen wir adressieren.»

Mit Blick auf das Händeschütteln betont er indes auch, dass die Begrüssung in Europa ganz unterschiedlich vollzogen werde.

Eine Frage der Gleichberechtigung?

Dass der Verzicht auf den Handschlag die Frau entwürdige, will BenMrad nicht gelten lassen. «Wir als Muslime, und das sage ich zum x-ten Mal, möchten die Gesetze und die Verfassung respektieren. Und die muslimischen Frauen sind, in der Schweiz zumal, gleichberechtigt.»

Was die verschiedene Behandlung von Mann und Frau betrifft: Wer ist da extremer als die katholische Kirche?
Autor: Charles Lewinsky Schriftsteller

Für ein gleiches Augenmass plädiert Janine Dahinden, die als Integrations-Expertin die Diskussion beobachtet: Auch die Schweizer Gesellschaft sei in Teilen noch männlich dominiert – etwa an den Universitäten oder in der wirtschaftlichen Elite. Und würde das Problem nun einzig auf den Islam projiziert, zeige sich ein kurioses Phänomen: «Plötzlich werden Männer aus dem rechten Spektrum zu Feministen.»

Lewinsky spielt den Ball an die katholische Kirche: «Was die verschiedene Behandlung von Mann und Frau betrifft: Wer ist da extremer als die katholische Kirche?»

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Staat vor Kirche schützen und umgekehrt

Nach der Genderdebatte leitet Projer zur umfassenden Frage nach dem Verhältnis von Kirche und Staat über. Pfister betont: «Den Staat geht an, wie wir handeln, aber nicht, was wir glauben.» Doch auch das Umgekehrte gelte: «Eine religiöse Begründung für einen Dispens in der Schule darf nicht sein.»

Montassar BenMrad kontert, an die Verpflegung von Schulkinder erinnernd: «Für mich ist es normal, dass ein Kind sagen kann, ich will kein Fleisch essen.»

Moderator Jonas Projer wirft ein, dass die radikale Trennung von Kirche und Staat nur in den Kantonen Genf und Neuenburg realisiert sei. In den anderen Kantonen hätten die beiden Landeskirchen nach wie vor Rechte – den Anspruch auf Steuergelder – und Pflichten – die Achtung der Verfassung.

Auf die Frage hin, wie weit die Trennung zu gehen habe, zeigen sich die Arena-Gäste unverhofft geeint: Der Staat müsse, wo seine Grundwerte in Frage stünden, vor der Religion geschützt werden.

Gracia will aber nicht nur den Staat vor der Religion schützen, sondern auch die Religion vor dem Staat. So verteidigt er die punktuelle Benachteiligung der Frau im Katholizismus mit den Worten: «Diskriminierung wäre das dann, wenn die katholische Kirche der Staat wäre. Das ist sie aber nicht. Und aus der katholischen Kirche kann jeder, der sich daran stört, austreten.»

Ein protestantischer Theologe spinnt den Gedanken fort: Die staatliche Anerkennung einer Landeskirche dürfe nicht dazu benutzt werden, «um eine Religion zu disziplinieren oder zu belehren».

Ob so viel Versöhnlichkeit kommt Moderator Jonas Projer in Feierlaune. Und die lässt er in seine letzte Frage einfliessen.

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