Ausweis F. So heisst das Dokument, das vorläufig Aufgenommenen in die Hände gedrückt wird. Es gilt für die Dauer eines Jahres und ist entsprechend ein Provisorium. Der Status F bietet Menschen Schutz, obwohl sie die Asyl-Kriterien nicht erfüllen. Eigentlich sollen sie die Schweiz verlassen, aber aus verschiedenen Gründen ist eine Ausreise:
- Unzumutbar: Es besteht eine konkrete Gefahr für die Rückkehrer aus Gründen wie Bürgerkrieg, allgemeiner Gewalt oder medizinischen Notlagen.
- Unzulässig: Als nicht zulässig gilt die Ausreise auch wegen völkerrechtlicher Verpflichtungen wie dem Folterverbot.
- Unmöglich: Ferner können technische Gründe wie geschlossene Grenzen eine Rückkehr verunmöglichen.
Die vorläufige Aufnahme wurde 1987 eingeführt. Wie eine Datenanalyse der Universität Neuenburg, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen (1994-2013) zeigt, blieb die Zahl der vorläufig Aufgenommenen recht stabil und lag im Durchschnitt bei 25'000 pro Jahr. Seit dem vergangenen Jahr steigt ihre Zahl aber. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres wurden bereits 31618 Personen gezählt. Und dieser Trend dürfte sich gerade mit Blick auf die syrischen Neuankömmlinge fortsetzen.
Eine wichtige Erkenntnis vorab: Wer einmal da ist, wird wohl auch bleiben. Vorläufig Aufgenommene können nach fünf Jahren über so genannte Härtefallgesuche die Aufenthaltsbewilligung B beantragen und nutzen diese Möglichkeit zumeist auch. Über 80 Prozent der vorläufig Aufgenommen kehren nicht mehr in ihr Ursprungsland zurück – gerade einmal 0,4 Prozent werden ausgeschafft. Bereits nach drei Jahren können sie ein Gesuch um Familiennachzug stellen, wenn ihre Wohnung gross genug ist und sie nicht von Sozialhilfe abhängig sind.
Die überwiegende Mehrheit der vorläufig Aufgenommenen verteilt sich auf zehn Herkunftsländer. Während bis zur Jahrtausendwende srilankische Staatsangehörige die grösste Gruppe stellten, wurden sie danach von serbischen und ab 2008 von somalischen und eritreischen Schutzsuchenden abgelöst. In den letzten Jahren werden zudem zahlreiche afghanische, irakische und syrische Staatsangehörige vorläufig aufgenommen – darunter auch immer mehr anerkannte Flüchtlinge ohne Asyl.
Der Status ist wie ein Stigma, er birgt Unsicherheit.
Flüchtlingen wird Asyl dann verwehrt, wenn sie erst durch ihre Ausreise aus dem Herkunftsstaat oder wegen ihres Verhaltens nach der Ausreise zu Flüchtlingen wurden. Der Flüchtlingsstatus ist vor allem auf der rechtlichen Ebene relevant. Vorläufig aufgenommene Flüchtlinge müssen mit weniger Einschränkungen leben als vorläufig aufgenommene Ausländer.
Sie dürfen ihren Wohnort innerhalb eines Kantons frei wählen, können ins Ausland reisen und zahlen keine Sondersteuer von 10 Prozent bei Erwerbstätigkeit. Zwar dürfen beide Gruppen einer Arbeit nachgehen, die bürokratischen Hürden sind allerdings hoch. Der Anteil Erwerbstätiger bei den vorläufig Aufgenommenen ist mit durchschnittlich 25 Prozent relativ gering. Immerhin: Eine weitere Untersuchung im Auftrag des Staatssekretariats für Migration (SEM), Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen zeigt, dass mit einem Statuswechsel auch die Motivation steigt, sich am Arbeitsprozess zu beteiligen. Nach 10 Jahren arbeitet bei den Migranten mit Härtefallgesuchen bereits deutlich mehr als die Hälfte.
Unsicherheit bei KMU bleibt
Zwar hat das Staatsekretariat für Wirtschaft (Seco) eine Broschüre, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen für interessierte Unternehmer herausgegeben, in der Praxis hat sich allerdings wenig geändert. «Ich verstehen, dass die KMU zögern, solche Leute anzustellen», resümiert Stefan Frey von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe die Lage auf dem Arbeitsmarkt. «Der Status F ist wie ein Stigma, er birgt Unsicherheit und dies obwohl das Staatssekretariat für Migration (SEM) klipp und klar darüber informiert, dass alle diese Leute arbeiten können.»
Die Folge: Viele vorläufig Aufgenommene landen in der Sozialhilfe. 85 Prozent der Personen mit Ausweis B und F sind in den ersten Jahren in der Schweiz nicht in den Arbeitsmarkt integriert. Wie die Erfahrung zeigt, ist der Weg in den Arbeitsmarkt nach ein bis zwei Jahren in der Sozialhilfe steinig – nicht nur für Migranten. Das Provisorium wird für diese Menschen zum Alltag.
Endstation Provisorium heisst es etwa für 12 Prozent der vorläufig Aufgenommenen. Sie leben bereits seit über 16 Jahren in diesem Zustand – ihnen droht Jahr für Jahr die Ausweisung. Diese Gruppe lebt fast ausschliesslich von Sozialhilfe. Betroffen sind zumeist Frauen, Familien, ältere Menschen und Kinder.
Ein Integrationsprogramm, das sich rechnet
«Das ist ein Skandal, das Integrationssystem versagt vollständig», empört sich Stefan Frey von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe. Ein Blick in die Statistik zeigt: Viele der Ankömmlinge sind jung, das Durchschnittsalter liegt bei 20 Jahren. Sie wären alle für eine rasche Integration in Arbeit und Gesellschaft geeignet. Allfällige Ausbildungen sind meist nichts wert, weil sie in der Schweiz nicht anerkannt werden, hinzu kommen die Sprachprobleme.
Wenn man etwas verändern wolle, dann müsse man diese Leute in ein konsequentes Integrationsprogramm und nicht in realitätsferne Beschäftigungsprogramme schicken. Darauf müsse eine Lehre oder mindestens Anlehre folgen, schlägt Frey vor. «Zwar hat man vier Jahre Kosten, danach sind die Leute aber selbstständig.» Die Alternative sei Sozialhilfe.
Bund: Problem erkannt
Auch der Bund will handeln. Dass die Integrationsbemühungen bisher versagt hätten, will SEM-Mediensprecherin Gaby Szöllösy nicht so stehen lassen. «Im Gegenteil: Wir sind überzeugt, dass die Integrationsbemühungen der Kantone und des Bundes Früchte tragen.»
Der Bund will künftig im Rahmen der Umsetzung der Masseneinwandungsinitiative auf die Förderung des inländischen Fachkräftepotenzials setzen, zu dem auch anerkannte Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene gehören, wie Szöllösy weiter ausführt. Mehr Geld für die Integration sei bereits gesprochen worden. Zudem wolle der Bund die Hürden für die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen und vorläufig Aufgenommenen mindern – dazu gehörten etwa weniger bürokratische Hürden und die Aufhebung der Sondersteuer von 10 Prozent für Erwerbstätige.