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25 Jahre bilaterale Abkommen mit der EU
Aus Tagesschau vom 21.06.2024.

Bilaterale Verträge mit der EU 25 Jahre Licht und Schatten für die Schweiz

Es war eine Unterschrift mit grossen Folgen: Vor einem Vierteljahrhundert hat der Bundesrat die ersten bilateralen Verträge mit der EU unterzeichnet. Seither hat sich die Schweiz wirtschaftlich enorm entwickelt, aber auch negative Folgen sind sichtbar.

Eine Unterschrift, und dann gab es Champagner: Am 21. Juni 1999 unterzeichnete der damalige Aussenminister Joseph Deiss in Luxemburg das erste bilaterale Vertragspaket mit der EU.

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Vertragsunterzeichung Bilaterale (Archiv)
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Es herrschte Feierlaune. Denn für Aussenminister Deiss und den ebenfalls mitgereisten Wirtschaftsminister Pascal Couchepin war es ein Befreiungsschlag, nachdem die Stimmbevölkerung sieben Jahre zuvor Nein zum EWR-Beitritt gesagt hatte.

Bilaterale Abkommen I

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Das erste Vertragspaket mit der Europäischen Union umfasst folgende sieben Abkommen:

  1. Personenfreizügigkeit
  2. Technische Handelshemmnisse
  3. Öffentliches Beschaffungswesen
  4. Landwirtschaft
  5. Forschung
  6. Luftverkehr
  7. Landverkehr

In der Schweizer Wirtschaft herrschte nach dem EWR-Nein Krisenstimmung. Man befürchtete, den Anschluss zu verlieren. Die bilateralen Verträge waren der Ausweg. Der ungehinderte Zugang zum wichtigsten Markt für die Schweiz, zu über 400 Millionen Europäerinnen und Europäern.

Die Bilateralen Verträge haben uns aus der Isolation herausgeholt.
Autor: Joseph Deiss Alt Bundesrat

 25 Jahre später treffen wir Alt Bundesrat Joseph Deiss wieder. Wie sieht er die bilateralen Verträge heute? «Die Verträge haben uns aus der Isolation herausgeholt. Wir konnten 25 Jahre lang Wohlstand, Erfolge und bessere Beziehungen mit unserem wichtigsten Partner aufbauen», sagt Deiss.

Doch was haben die Abkommen der Schweiz wirklich gebracht? Die Wirtschaft hat sich enorm entwickelt, das Bruttoinlandprodukt ist stark angewachsen. Doch auch die Zuwanderung ist stark angestiegen.

Die Bilateralen: «Licht und Schatten»

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Für den liberalen Ökonomen Christoph Schaltegger von der Universität Luzern haben die Bilateralen Verträge Licht und Schatten gebracht. «Das Licht in diesem Vertragswerk liegt sicher in den Handelsliberalisierungen», erklärt Schaltegger. Für die Unternehmen sei es einfacher geworden, zu exportieren und importieren.

«Auf der Schattenseite ist die Personenfreizügigkeit.» Sie habe zu einem Breitenwachstum geführt. Insbesondere die Zuwanderung hätte ein Wirtschaftswachstum begünstigt. Das habe auch Dichtestress mit sich gebracht, bilanziert der Ökonom, «dies hat den Steuerzahlenden enorme Kosten aufgebürdet».

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Schaltegger: «Das Licht liegt in den Handelsliberalisierungen»
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Zankapfel Zuwanderung

An der Zuwanderungsfrage scheiden sich die Geister. Vor zehn Jahren wurde die Masseinwanderungs-Initiative der SVP hauchdünn angenommen. Seither ist die Zuwanderung aus der EU nie mehr aus den Schlagzeilen verschwunden, die Folgen sind für alle spürbar: mehr Verkehr, stark steigende Immobilienpreise, Wohnungsnot.

SVP-Fraktionschef Thomas Aeschi sagt heute: Die Bilateralen I seien keine Erfolgsgeschichte. Die Schweiz wäre ohne Bilaterale genauso gut gefahren. «Der Schweiz würde es mindestens gleich gut gehen», ist er überzeugt, «aber wir hätten die negativen Auswirkungen von 1.5 Millionen Zuwanderung in den letzten 25 Jahren nicht».

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Aeschi: «Der Schweiz würde es mindestens gleich gut gehen»
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Der Wirtschaftsverband Economiesuisse zählt zu den lautesten Befürwortern der bilateralen Verträge. Mit seiner Allianz «Stark und vernetzt» führte er diese Woche Aktionen in mehreren Städten durch, um den Bürgerinnen und Bürgern den Nutzen der Bilateralen zu erklären.

«Die bilateralen Verträge haben dafür gesorgt, dass es in unserem Land wieder Wachstum gibt und das kommt uns allen zugute», betont Economiesuisse-Direktorin Monika Rühl. Die Zuwanderung sei wichtig. «Wir anerkennen aber, dass die Zuwanderung viele Menschen umtreibt», so Rühl.

Steiniger Weg zu neuen Abkommen

Mit der Weiterentwicklung des bilateralen Wegs stockt es allerdings. Die Schweiz verhandelt mit der EU über ein neues Vertragswerk. Für diese Woche war ein Besuch des zuständigen EU-Vize-Kommissionspräsidenten Maroš Šefčovič in Bern geplant, der aber kurzfristig abgesagt wurde. Die Positionen zwischen der Schweiz und der EU liegen offenbar doch noch zu weit auseinander. Es sei nicht der richtige Zeitpunkt für ein Treffen, liess das Aussendepartement von Bundesrat Ignazio Cassis verlauten.

Kurzeinschätzung von SRF-Bundeshausredaktor Andy Müller

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«25 Jahre nach der Unterzeichnung der ersten bilateralen Abkommen wird das Vertragswerk in der Politik und bei vielen Expertinnen und Experten insgesamt kritischer beurteilt als damals. Obwohl viele Studien zum Schluss kommen: Die Schweiz hat von den bilateralen Verträgen profitiert, auch von der Personenfreizügigkeit mit der EU. Das Problem allerdings: Niemand weiss, wie sich die Schweiz ohne die Bilateralen entwickelt hätte. Besser? Schlechter? Oder genau gleich? Diese Frage kann auch kaum mehr sachlich diskutiert werden. Der Nutzen der Bilateralen ist zu einem hochpolitischen, polarisierenden Thema geworden. Seit im letzten Jahr fast wieder 100'000 Menschen zugewandert sind, wird wieder verstärkt über die negativen Folgen der Bilateralen gestritten. Ob es bei dieser pessimistischen Grundstimmung möglich sein wird, die bilateralen Verträge mit der EU weiterzuentwickeln und ein neues Vertragswerk in einer Volksabstimmung durchzubringen, ist derzeit fraglich.»

Der Gesamtbundesrat ist sich auch nicht einig, ob er für das Vertragswerk bei einer Abstimmung dereinst nicht nur ein Volksmehr, sondern auch ein Ständemehr benötigt. Dies könnte eine Hürde sein. Denn zurzeit wird stärker über die negativen Folgen der Bilateralen gestritten als über deren Nutzen geredet.

Tagesschau, 21.06.2024, 19:30 Uhr

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