«Wenn jemand bei einem Manne liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Gräuel ist, und sollen beide des Todes sterben.» Am Kongress «Freude am Glauben» im deutschen Fulda zitierte Vitus Huonder freimütig aus dem Levitikus, dem 3. Buch Mose. Das Zitat, so der Churer Bischof, reiche um «der Frage der Homosexualität aus der Sicht des Glaubens die rechte Wende zu geben.»
Die drastischen Worte des Geistlichen hallten nach. Nicht nur innerhalb der Kongressmauern, wo sie freundlichen Beifall erhielten. Sondern vor allem ausserhalb: Die schwulenfeindlichen Aussagen des Churer Bischofs lösten einen Sturm der Empörung aus. Auch und gerade unter gläubigen Katholiken.
Huonder ist inzwischen zurückgekrebst: Seine Aussagen seien fälschlicherweise als Herabsetzung homosexueller Menschen verstanden worden: «Es war nicht so gemeint», fügte der Bischof hinzu.
Traditionsbewusstsein und Ängstlichkeit
Alttestamentler Othmar Keel, ehemaliger Professor an der Universität Freiburg, will die salopp anmutende Rechtfertigung nicht gelten lassen. In Huonder erkennt er einen typischen Traditionalisten innerhalb der katholischen Kirche: «Das sind keine neuen Positionen, im Gegenteil: Sie werden aus Traditionsbewusstsein, auch einer gewissen Ängstlichkeit heraus bezogen».
Nach Keels Meinung verkennen Kirchenmänner wie Huonder die Zeitgebundenheit der biblischen Schriften, interpretieren sie zu buchstabengetreu. Wie verbindlich Gottes Wort tatsächlich ist, sei jedoch auch innerhalb der katholischen Kirche seit jeher Verhandlungssache gewesen.
Die Kirche und die gesellschaftliche Realitäten
Der Theologe plädiert abseits dogmatischer Bibel-Exegese für ein einfaches Prinzip: «Alle Gebote lassen sich letztlich auf ein Gebot reduzieren: Das der Nächstenliebe.» Doch sei auch sie zeitgebunden: «Unsere Gesellschaft hat in den letzten Jahrzehnten drastische Umwälzungen erfahren. Bis 1971 galt es bei der Mehrheit der Schweizer Männer als natürlich, dass Frauen nicht politisieren.» Heutzutage würde der gleiche Standpunkt als «unnatürlich» gelten.
Das Natürliche und ethisch Verbindliche sei denn auch im steten gesellschaftlichen Wandel – doch eben diesem Wandel widersetze sich die katholische Kirche: «Sie ist unfehlbar – und ändert sie ihre Meinung, glaubt sie, Glaubwürdigkeit zu verlieren.»
Doch gerade das hält der emeritierte Theologe für einen Trugschluss: «Sie würde an Glaubwürdigkeit gewinnen, wenn sie anerkennen würde, dass sich die Zeiten geändert haben und nicht mehr unbedingt gilt, was einmal unbedingt gegolten hat.»
Kein Sprachrohr der katholischen Basis
Kirchenmänner wie Bischof Huonder predigen für Keel an den gesellschaftlichen Realitäten vorbei – und das sogar bei der Mehrheit der Katholiken selbst: «Es ist meines Erachtens nur eine kleine Minderheit in der Schweiz, die seine Aussagen unterstützen. Auch in den Diskussionen zur anstehenden Familiensynode hat man das gesehen.»
Für Keel ist Huonder ist damit alles andere als das Sprachrohr der katholischen Basis. Doch spricht er im Geiste des viel zitierten «Reformpapstes» Franziskus – der unentwegt an den Grundfesten des Vatikans rüttelt – aber beim Thema Homosexualität zumindest widersprüchliche Signale aussendet?
«Im Gegensatz zu seinem Vorgänger will er nicht so sehr die wahre Lehre vertreten. Er will die Nächstenliebe ins Zentrum rücken, und muss natürlich auf seine Kardinäle und Bischöfe Rücksicht nehmen.» Letztere zeigen sich auch in der Schweiz wenig reformorientiert beim Thema Homosexualität.
So verlangt die hiesige Bischofskonferenz, Homosexuellen mit «Achtung, Mitleid und Takt» zu begegnen – eine im Ton freundliche, aber vielsagende Botschaft: «Natürlich klingt vor allem das Wort ‹Mitleid› danach, dass Homosexuelle auf eine Art krank sind.» An eine «Revolution von oben» ist also vorderhand nicht zu denken.