- Die Bundesanwaltschaft (BA) hat ein Strafverfahren wegen Verdachts auf politischen Nachrichtendienst (Spionage) eröffnet.
- Gemäss konkretem Tatverdacht wird im Umfeld der türkischen Gemeinde in der Schweiz mutmasslich Spionage gemäss Artikel 272 des Strafgesetzbuchs betrieben.
Vor zwei Wochen wurde bekannt, dass an der Universität Zürich angeblich regierungskritische Türken beobachtet und fotografiert wurden. Bundespolitiker äusserten sich ebenfalls bereits kritisch zu den möglichen Spionagetätigkeiten der Türkei in der Schweiz.
Inzwischen hat die Bundesanwaltschaft (BA) ein Strafverfahren wegen Verdachts auf politischen Nachrichtendienst eröffnet. Ihr liege der konkrete Tatverdacht vor, dass im Umfeld von in der Schweiz lebenden Türken mutmasslich Spionage betrieben werde, bestätigt der Informationschef der BA, André Marty, auf Anfrage von SRF.
Die türkische Botschaft in Bern sagt auf Anfrage der «Tagesschau», dass eine «konkrete Information» zu den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft die Botschaft der Türkei «bis heute» nicht erreicht habe.
Verfahren nach bundesrätlicher Ermächtigung
Die BA habe basierend auf den entsprechenden rechtlichen Grundlagen beim Bundesrat um einen Entscheid ersucht, eine gerichtliche Verfolgung aufzunehmen. Nachdem die bundesrätliche Ermächtigung durch das Justizdepartement (EJPD) erteilt wurde, habe die BA am 16. März ein Strafverfahren über möglichen politischen Nachrichtendienstes gemäss Artikel 272 des Strafgesetzbuches. Weitere Angaben machte die BA nicht, weil es sich um ein hängiges Strafverfahren handelt.
Gemäss Artikel 66 des Strafbehördenorganisationsgesetzes ist für die Verfolgung politischer Straftaten in der Schweiz eine Ermächtigung durch den Bundesrat notwendig. Ohne diese Ermächtigung dürfte die BA nicht selbständig aktiv werden.
Dass Strafverfahren im Zusammenhang mit politischem Nachrichtendienst eröffnet und öffentlich kommuniziert werden, darf als aussergewöhnlich bezeichnet werden, sagt SRF-Bundeshausredaktor Philipp Burkhardt.
Klare Position der Schweiz
Der Verdacht, dass der türkische Nachrichtendienst nach dem gescheiterten Putschversuch im letzten Sommer auch in der Schweiz aktiv geworden ist, steht seit längerer Zeit im Raum.
Bundesrat Didier Burkhalter traf am Donnerstag den türkischen Aussenminister Mevlüt Cavusoglg. Nach dem Treffen sagte Burkhalter am Abend gegenüber SRF, er habe im Gespräch mit Cavusoglu «die Gültigkeit des nationalen Rechts in der Schweiz unterstrichen».
Dabei habe er auch die Türkei ermahnt, sich an dieses zu halten. Nachrichtendienstliche Tätigkeiten seien in der Schweiz verboten und allfälligen Hinweisen würde die Schweiz «konsequent nachgehen». Die BA bestätigt nun, dass sie in diesem Zusammenhang aktiv geworden sei.
Bespitzelungen an der Universität Zürich
Mitte März wurde bekannt, dass an der Universität Zürich angeblich regierungskritische Türken beobachtet und bespitzelt wurden. Am 11. Januar seien zwei Männer am historischen Seminar zum Thema Völkermord an den Armeniern erschienen und hätten Besucher systematisch mit Smartphones fotografiert, schilderte ein Doktorand dem «Tages-Anzeiger».
Zudem seien im Dezember Besucher bei der Würdigung der Arbeit von Can Dündar, Chefredaktor der regierungskritischen Zeitung «Cumhuriyet», in der Aula der Universität Zürich gefilmt worden. Der Universitätsleitung waren die beiden Vorfälle bis zu dem Zeitpunkt nicht bekannt gewesen.
Politiker kritisieren Spionagetätigkeit der Türkei
Vor möglichen Spionagetätigkeiten der Türkei in der Schweiz warnten auch schon Schweizer Bundespolitiker. Ständerat Josef Dittli (FDP/UR) hat deswegen bei der BA Strafanzeige eingereicht. Kritiker des türkischen Präsidenten Erdogan in der Schweiz seien teilweise aggressiven Massnahmen ausgesetzt. Laut Dittli soll sogar eine E-Mail-Adresse bestehen, ab die regimekritische Personen nach Ankara gemeldet werden können.
Vor zwei Wochen kritisierte auch die Grüne Partei Schweiz die türkischen Bespitzelungen in der Schweiz. «Es darf nicht sein, dass der lange Arm der AKP-Regierung in unsere Rechtsordnung eingreift und das friedliche Zusammenleben der türkischstämmigen Diaspora tangiert», sagt Nationalrat Balthasar Glättli (Grüne/ZH).
Die Grünen veröffentlichten dazu einen Brief der türkischen Botschaft in Bern an die Behörden im Heimatland. Darin wurden detailliert Bildungsinstitutionen, Medien und Nichtregierungsorganisationen aufgelistet, die Beziehungen zu FETÖ/PDY unterhalten («FETÖ-Liste»).
«FETÖ-Liste» wird überprüft
Als FETÖ wird in der Türkei die «Fethullahistische Terrororganisation» (Parallelstaatstruktur) bezeichnet, die angeblich als Terrororganisation des Prediger Fethullah Gülen (und seinen Anhänger) für den Putschversuch in der Türkei im Sommer 2016 verantwortlich gemacht wird.
Angesprochen auf diese «FETÖ-Liste» erklärte BA-Informationschef André Marty, dass es verschiedene Tatverdachtsmomente gebe. «Dabei müsse detailliert abgeklärt werden im Sinne von belastendem oder auch entlastendem Material.» Das benötige aber noch etwas mehr Zeit.