Der Informatiker, der 2012 eine grosse Menge geheimer Daten beim Nachrichtendienst des Bundes (NDB) kopiert und mitgenommen hat, wollte mit den Informationen eine Million Schweizer Franken verdienen. Das geht aus der Anklageschrift der Bundesanwaltschaft hervor, die das Bundesstrafgericht in Bellinzona veröffentlicht hat.
Der Informatiker hat gemäss der Anklageschrift «ein Offertschreiben in englischer Sprache verfasst». Darin bot er die Daten in einzelnen Tranchen für einen Betrag ab jeweils 100‘000 Franken an. Er rechnete, damit bis zu einer Millionen Franken erhalten zu können, berichtet «10vor10».
Wen genau der Mann als Abnehmer der Daten vorsah, ist nicht bekannt. Die Bundesanwaltschaft schreibt in der Anklageschrift von «ausländischen Stellen (ausländischen Parteien oder Organisationen)».
Missstände dokumentieren , aber keine Spionage
Der heute 47-jährige Informatiker bestritt während den Ermittlungen, für eine ausländische Organisation spioniert zu haben. Er habe lediglich Missstände innerhalb des NDB dokumentieren wollen. Wie weit er heute allenfalls geständig ist, geht aus der Anklageschrift nicht hervor. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Die Verhandlung vor dem Bundesstrafgericht beginnt am 16. März. Die Anklage lautet auf politischen Nachrichtendienst sowie versuchte Verletzung des Amtsgeheimnisses. Beide Straftatbestände werden mit bis zu drei Jahren Haft bestraft.
Gesamten E-Mail-Verkehr des NDB kopiert
Der Fall war im Herbst 2012 öffentlich geworden, ein halbes Jahr nach der Tat. Nun werden mit der Anklageschrift weitere brisante Details bekannt: So beläuft sich die entwendete Menge Daten gemäss Anklageschrift auf exakt 507.1 Gigabytes. Es handelte sich um geheime, klassifizierte und besonders schützenswerten Daten und virtuellen Festplatten aus dem Sicherheitssystem des NDB.
Dazu gehören gemäss Anklageschrift detaillierte Informationen über die nachrichtendienstliche Zusammenarbeit mit ausländischen Diensten, Daten über geheimdienstlichen Operationen und Informationen zur Führung von Quellen. Kopiert wurden auch sämtliche E-Mail-Postfächer und Mailserver der internen und externen Kommunikation mit dem gesamten E-Mail-Verkehr aller Mitarbeitenden des NDB, inklusive Geschäftsleitung und Direktion.
Der Informatiker war zur angeblichen Tatzeit im April und Mai 2012 krankgeschrieben, hatte aber trotzdem Zutritt zum Gebäude des NDB und kopierte die Daten unbemerkt während mehrerer Tagen auf externe Festplatten. Diese brachte er dann unbehelligt nach Hause.
Aufmerksamer Bankangestellter stutzt
Wenige Tage später begab er sich zu einer Filiale der Grossbank UBS in Bern und erkundigte sich nach einem Nummernkonto. Gemäss Anklageschrift teilte er dem Kundenberater mit, er erwarte eine Überweisung von 100‘000 bis einer Millionen Franken, und zwar aus einem bevorstehenden Datenverkauf.
Die Bundesanwaltschaft schreibt, der Informatiker habe die innere und äussere Sicherheit der Schweiz in Gefahr gebracht, zudem seien Leib und Leben der Quellen einer Gefahr ausgesetzt worden. Der Schaden halte sich einzig deshalb in Grenzen, weil der Verkauf der Daten schliesslich verhindert werden konnte.
Es steht zwar nicht in der Anklageschrift, aber das Eingreifen ist dem Bankangestellten zu verdanken, wie Medien-Recherchen zeigen: Der Bankangestellte meldete den seltsamen Kundenbesuch intern und die UBS schaltete daraufhin offenbar die Polizei ein. So wurde der Informatiker am 25. Mai verhaftet und tags darauf durchsuchten Bundeskriminalpolizisten das Büro des Informatikers im NDB. Der Mann verbrachte 40 Tage in Untersuchungshaft. Er lebt heute in Italien.