Ist ein Heimbewohner dement, wird er häufig hinter Bettgitter gelegt. Dabei ist die Praxis ganz unterschiedlich. Im Aargau gibt es laut einer Studie des kantonalen Gesundheitsdepartementes Heime, die hundert Prozent ihrer Bewohner hinter ein Bettgitter stecken. Andere Heime bringen überhaupt keine Bettgitter an.
«Solche Bettgitter sind gefährlich», sagt der ehemalige Zürcher Stadtarzt Albert Wettstein gegenüber der Rundschau. Eingesperrte Menschen können über das Gitter klettern und tief fallen. «Häufig gibt es einen Oberschenkelhalsbruch», so Wettstein.
Wettstein betreute eine Masterarbeit, die zeigt, dass 35 Prozent der Bewohner von Pflegeheimen in Zürich mit freiheitseinschränkenden Massnahmen leben müssen. Ausgewertet wurden 1800 Krankenakten von sieben Pflegezentren der Stadt Zürich.
Im grössten Demenzheim der Schweiz, der «Sonnweid» in Wetzikon, gibt es zwar 19 Bettgitter für die 150 Bewohner. Doch diese werden nur zurückhaltend eingesetzt. Heimleiter Michael Schmieder: «Wenn ein Bewohner das Gitter nicht will, nehmen wir es weg. Keiner soll sich eingesperrt fühlen.»
Das Heim «Luegenacher» in Rothrist sieht das anders. Die Rundschau berichtet über den Fall eines dementen Heimbewohners, der unglücklich war, weil ihn das Heim hinter Bettgitter sperrte. In Protokollen der Stationspfleger steht, der Bewohner schreie laut, wenn er nur in die Nähe seines Bettes komme. Er müsse mit drei Pflegern ins Bett gebracht werde. Dort rüttle er stundenlang am Gitter.
Auch Zewidecken als Gefahr
Damit die dementen Bewohner nicht herausfallen und stürzen, werden sie zusätzlich in sogenannte Zewidecken gesteckt. Das sind Fixleintücher, unter denen sich die Bewohner nicht mehr befreien können. Die Zwangsdecken stellen nicht nur einen Schutz dar, sondern können gleichzeitig eine Gefahr sein. Im Protokoll des Pflegeheimes «Luegenacher» in Rothrist steht, ein Bewohner habe sich in der Decke verstrickt und drohe zu ersticken.
Das Heim in Rothrist erklärt, die Massnahme sei nötig gewesen, weil die Sturzgefahr des inzwischen verstorbenen Bewohners massiv gewesen sei. Man habe ihn nicht einfach mit Medikamenten ruhig stellen wollen. Ausserdem sei eine Zewidecke ungefährlich. Der Eintrag mit der Beinahe-Erstickung sei von einer Pflegerin erfolgt, die die Situation falsch interpretiert habe.
Es gibt Heime, die auf freiheitseinschränkenden Massnahmen komplett verzichten. So wie das Heim St. Anna in Steg (VS). Das Heim hat eine Auszeichnung bekommen, weil es Bettgitter und Zewidecken verbannt hat. Das Ergebnis: Durch die neue Freiheit für die Dementen gibt es nicht mehr Stürze, sondern sogar weniger.
Niederflur-Betten im Trend
Alte Menschen, die in ihrem Bett fixiert sind, verlieren schnell an Muskelmasse und werden zunehmend verwirrt. Gibt man ihnen ihre Freiheit zurück, finden sie sich eher zurecht und stürzen weniger. Das Heim in Rothrist will diesem Trend folgen. Anstelle von Bettgittern soll es ab kommendem Jahr sogenannte Niederflur-Betten geben. Wenn der Patient aus dem Bett rollt, fällt er flach auf eine Matratze am Boden. Dort kann er weiterschlafen.
Künftig soll es keine Glücksache mehr sein, ob man in ein Heim kommt, das die Bewohner hinter Gitter sperrt oder nicht. Die Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften ist derzeit dabei, die Richtlinien für Zwangsmassnahmen in der Geriatrie zu überarbeiten.