Die Anfragen via Facebook klingen freundlich. Die Fragesteller schwärmen von einem Job in der Fitness- und Wellness-Branche in einem stetig wachsenden und weltweit tätigen Unternehmen. Der Verdienst sei hoch und die Arbeitseinteilung flexibel. Und sie laden zu unverbindlichen Gesprächen ein.
«Ich bin uf dis Profil gstossa. Häsch an echt sympathischa Idruck gmacht. [...] I schaffa selbständig als Teamleiterin / Coach für en Wellness- und Fitnesskonzern. Letscht Johr hämmer über 20 Prozänt Wachstum ka und drum sind miar aktuell zwecks Expansion no noch Verstärkig am Luaga für üsars Team.»
Von einem freundlichen Gespräch wollen die Anfragesteller vor Ort aber nichts mehr wissen. Dies erzählt Willi Dahinden im Gespräch mit SRF News Online. Sein Sohn hatte auf einen Nebenjob in der Fitnessbranche gehofft und sich auf ein solches Gespräch eingelassen. Letztlich fand er sich aber in einem Bürogebäude im Dübendorfer Industriequartier wieder – in einem Raum mit rund 100 anderen Leuten.
Die Redner vorne hatten das Ziel, jedem Teilnehmer eine Produktekiste mit Duschmittel, Lippenpomade und Gesundheitsdrinks der Firma «Forever Living Products» zu verkaufen. 250 Franken kostet eine solche Kiste. Viel wichtiger ist aber, dass die Interessenten weitere Mitglieder anwerben, die dann wiederum nach Mitgliedern suchen. Weil nur so steigt man in der Hierarchie auf – und verdient viel Geld, so das Versprechen.
300 neue Adressen liefern
Dreimal wöchentlich finden die Veranstaltungen statt. «Sektiererisch», heisst es von den Teilnehmern, die das Spiel durchschaut haben. «Ein Raum voller Aufschneider.» Auch Willi Dahindens Sohn verlässt die Veranstaltung. Er hat kein Interesse mehr – sehr zur Freude seines Vaters.
Doch nicht alle jungen Erwachsenen verstehen die Zeichen. Woche für Woche werden so bis zu 300 Interessierte hinters Licht geführt. Schon beim zweiten Treffen wird klar: Es geht nicht alleine um den Verkauf der Produkte. Denn die Neumitglieder sollen nun die Namen von 300 Personen nennen, die sie ins Boot holen könnten.
Kein Wunder, tummeln sich die Betroffenen in den Sozialen Medien. Zunächst fällt das mühsame Zusammensuchen von Email-Adressen und Telefonnummern weg. Man muss nicht mehr anrufen oder Leute auf der Strasse ansprechen, um an neue Mitglieder zu gelangen. Dies sagt Manuel P. Nappo, Leiter der Fachstelle Social Media Management an der Zürcher Hochschule für Wirtschaft.
Grosse Reichweite dank Computercodes
Wer Mitglieder anwerben will, muss beispielsweise über Facebook nur einen geringen Aufwand betreiben. Laut Nappo gibt es so genannte Scripts – also Codes, die eine Nachricht an hunderte Kontakte weiterschickt, jeweils mit dem richtigen Vornamen als Anrede. So fällt die Nachricht nicht als Spam auf. «Vielleicht stellen die Firmen diese Scripts ihren Mitgliedern sogar zur Verfügung.» Ausserdem werde Spam in den Sozialen Medien noch kaum erkannt – ganz im Gegenteil zum Email.
Die Firma «Forever Living Products» agiert nicht immer unter diesem Namen. Einige Mitglieder haben eigene Firmen und Teams gegründet, die mit ihrem eigenen Namen auf Mitgliederfang gehen. Sie nennen sich «Potential Management», «Smart Coaching» oder «Future Success». Sie alle haben ihren Firmensitz im zürcherischen Dübendorf, wo auch die Infoveranstaltungen stattfinden. Unter dem Namen «Schörli Management GmbH» sind die Firmen sogar im Handelsregister eingetragen. Die Aufgabe der Mitglieder, die sich alle als Unternehmer bezeichnen, ist klar: Wer selbst verkauft, kassiert – und wer andere für sich verkaufen lässt, erhält Provisionen.
Beförderung nur bei genügend Umsatz
Dieses komplizierte Vergütungssystem, das Versprechen, viel Geld zu verdienen, das Anwerben von Neumitgliedern und der Produkteverkauf – es gibt viele Indizien, die für ein Schneeballsystem sprechen. Damit ist ein Geschäftsmodell gemeint, das zum Funktionieren eine wachsende Anzahl an Teilnehmern benötigt, die Geld investieren.
In Schneeballsystemen wird Geld grundsätzlich nur von unten nach oben verteilt. Und das sei verboten, sagt Rechtsanwalt Cyrill Süess von «Staiger, Schwald und Partner» im Interview mit dem Konsumentenmagazin «Espresso».
Eine Gemeinsamkeit von «Forever Living Products» mit einem Schneeballsystem sei, dass ein Team steten Umsatz liefern müsse, wenn es befördert werden wolle. Bei «Forever Living» spricht man von rund 24'000 Franken, die ein Mitglied zusammen mit seinen «Untertanen» umsetzen muss, damit das Mitglied auf eine höhere Stufe befördert wird.
Schneeballsystem? Keine Stellungnahme
Zudem würden die Leute mit einer Vergütungsstruktur, die sie nicht verstünden, übers Ohr gehauen, so der Rechtsanwalt weiter. «Die Leute hoffen, dass sie das grosse Geld verdienen. Dafür werben sie neue Leute an. Doch das geht irgendwann nicht mehr. Die Letzten erleiden erzwungenermassen einen Verlust.»
«Espresso» hat bei der Schweizer Nummer Eins bei «Forever Living Products», Philipp Ritter, nachgefragt, was er zum Thema Schneeballsystem zu sagen hat. Geantwortet hat ein Jurist aus Deutschland. Er schreibt, «entgegen Ihrer Recherche steht der Endkunde/Konsument im absoluten Fokus der Tätigkeit unseres Hauses.»
Die Teammitglieder sind überzeugt von ihrem Konzept. Sie treibt der Wunsch nach Selbständigkeit, Freundschaft und viel Geld an. Experten warnen aber: Finger weg von diesen Jobangeboten.