Über Monate forderte die FDP einen verbindlichen Inländervorrang, wenn es um die Umsetzung des Verfassungsartikels über die Zuwanderung geht. Jetzt plötzlich genügt der Partei ein «Inländervorrang light»: Eine unverbindliche Meldepflicht für offene Stellen. Dieser Kommissionsvorschlag aus dem Nationalrat tangiert zwar nicht das Personenfreizügigkeits-Abkommen mit der EU, entspricht aber auch nicht dem neuen Zuwanderungs-Artikel, wie ihn das Volk angenommen hat.
Was ist denn für den FDP-Fraktionspräsidenten Ignacio Cassis wichtiger: Der Respekt vor dem Wählerwillen oder der Respekt vor dem Abkommen mit der EU? In der «Samstagsrundschau» nimmt Cassis eine klare Gewichtung vor:
Beides ist wichtig, aber für die FDP ist das Beibehalten der bilateralen Verträge mit der EU am wichtigsten.
Nur stehen in der FPD aber nicht alle Parlamentarier hinter der Idee einer «sanften» Umsetzung des Zuwanderungs-Artikels. Darum wurde in der Fraktion das delikate Thema Masseneinwanderungs-Initiative flugs zu einem «strategischen Geschäft» erklärt. Und das bedeutet für alle Fraktionsmitglieder; In der für Mittwoch angesetzten Debatte zum «Inländervorrang light» dürfen sich kritische FDP-Nationalräte höchstens der Stimme enthalten.
Fraktionszwang in der FDP
Damit setzt Cassis seine Fraktionsmitglieder im Parlament stark unter Druck: «Wenn eine Mannschaft gewinnen will, muss man sich einigen und alle zusammen spielen. Ein Orchester spielt nur gute Musik, wenn ein Dirigent das richtig dirigiert.»
Das parteipolitische Taktieren geht noch weiter. Auch wenn sich Fraktionschef Cassis bemüht, seine FDP-Nationalräte auf eine Linie zu bringen, sieht es für die FDP-Ständeräte wieder anders aus. Und das sei richtig so, meint Cassis: «Wenn der Ständerat in einer zweiten Phase etwas griffiger werden will und kann, ohne die bilateralen Verträge zu gefährden, sind wir dafür offen und stehen dazu.»
Auf konkrete, griffigere Massnahmen wollte sich Cassis in der «Samstagsrundschau» nicht festlegen. Damit bleibt viel Handlungsspielraum bei der Umsetzung des neuen Zuwanderungs-Artikels.
Wie fit ist Bundespräsident Schneider-Ammann?
Neben der Beratung des «Inländervorrangs light» im Nationalrat am Mittwoch, wird auch der Montag als wichtige Etappe angesehen: Bundespräsident Johann Schneider-Ammann trifft sich in Zürich mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Der Zuwanderungsartikel dürfte ein Gesprächsthema sein. Cassis dämpft aber die Erwartungen: «Juncker ist nicht da, um über dieses Problem zu sprechen. Es wird ein Thema sein, ist aber nicht als formelles Thema angekündigt.»
Der Montag wird ein schwieriger Termin für Schneider-Amman. Gemäss Medienberichten und Beobachtungen im Parlament wird derzeit auch über den Gesundheitszustand des 64-jährigen Bundespräsidenten spekuliert.
«Er ist tatsächlich müde», sagt Cassis. «Das Bundespräsidium ist kein leichter Job.» Zudem habe Schneider-Ammann in den vergangenen Jahren viel reisen müssen und zu Beginn des Sommers einen Rippenbruch erlitten. «In seinen letzten Auftritten im Parlament hat er aber den Eindruck erweckt, voller Kraft zu sein. Ich glaube, es geht ihm wirklich gut – er ist einfach müde wie jeder Mensch müde ist, wenn man zu viel macht.»