SRF News: Die Forschungsstelle Bakbasel präsentiert die Aussage, dass sich die Löhne zueinander hin entwickeln würden, als Resultat einer Studie. Hat Sie das überrascht?
Gabriel Fischer: Im ersten Moment stutzt man, wenn man solche Resultate hört, weil sie nicht unbedingt unserer Wahrnehmung von der Realität entsprechen.
Haben die Gewerkschaften auf Vorrat gejammert?
Nein, ich denke nicht. Man muss sich diese Untersuchung schon genau ansehen. Beleuchtet wurde der Zeitraum zwischen 2007 und 2012. Es gibt zwei Faktoren, die dieses Ergebnis mitgeprägt haben. Einerseits ist es so, dass in diesem Zeitraum gewerkschaftliche Erfolge zu verzeichnen sind. Gerade bei den Mindestlöhnen haben wir gewisse Schritte machen können.
Zum Beispiel?
Ich erinnere daran, dass in diesem Zeitraum der 13. Monatslohn im Gastgewerbe eingeführt wurde und die Löhne im Detailhandel haben sich ein bisschen entwickelt. Andererseits war 2008 der Beginn der Finanzkrise, man hat im Herbst 2008 die UBS mit fast 60 Milliarden Franken öffentlichen Geldern retten müssen. Und die Finanz- und Wirtschaftskrise, die nachher kam, hat natürlich bei den höchsten Einkommen, bei den Boni, bei den Sonderzahlungen gewisse Spuren hinterlassen. Darauf kann man das Ergebnis zurückführen.
Ist die Aussage, dass sich die Lohnschere langsam schliesse, deshalb nicht zulässig?
Auf diesen kurzen Zeitraum gesehen stimmt das vielleicht. Im Bereich der Lohnschere empfiehlt es sich jedoch, über eine längere Zeit hinzuschauen. Die Lohnschere hat sich einerseits Ende der 90er Jahre stark geöffnet und dann vor allem auch im Zeitraum 2002 bis 2007. Wenn man eine Untersuchung macht, die genau ab 2007 beginnt, ist das schon fast ein bisschen tendenziös.
Bakbasel präsentiert nur eine Schätzung. Offenbar lässt sich nicht quantifizieren, wie viele Schlechtverdienende besser verdienen und wie viele Gutverdienende etwas schlechter. Was die Studie aber aussagt, ist, dass die Schweiz bei der Lohnschere im Mittelfeld ist, weil der Arbeitsmarkt frei sei.
Das ist das klassische Argument, es geht um die Vorteile des liberalen Arbeitsmarkts in der Schweiz. Das Argument hat seine Berechtigung, aber man muss sich auch vor Augen halten, was das für die Direktbetroffenen bedeutet. Wir sind jetzt wieder in einer Zeit, in der die Arbeitslosigkeit ansteigt. Für die Betroffenen ist das überhaupt nicht lustig.