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Ein Mann sitzt in einem Kaffee und surft mit dem Tablet
Legende: Alles ganz harmlos? Im Schatten der Anonymität verlieren manche Kommentatoren die Contenance. Keystone

Schweiz Hass flammt durchs Web, die Löscharbeiten stocken

Wo kein Kläger, da kein Richter, sagen sich viele Online-Kommentatoren. Unter dem Deckmantel der Anonymität verbreiten sie ihre Hassbotschaften. Der Presserat fordert ein entschiedeneres Einschreiten der News-Portale. Doch der Kampf gegen die Hetze ist schwierig – und teuer.

«Schade, dass Sex mit Kindern heute immer noch verboten ist» – klingt absurd, war aber jüngst online zu lesen. In den Kommentaren eines grossen Schweizer Newsportals. Und das Beispiel ist längst kein Einzelfall. Wer so kommentiert, tut dies meist anonym.

Der Urheber verstösst damit gleich gegen eine ganze Reihe von Richtlinien des Presserates. Diese besagen: Für Onlinekommentare auf News-Portalen ist immer das Medium verantwortlich. Nicht der User. Und wer kommentiert, soll das grundsätzlich mit seinem bürgerlichen Namen tun. Anonyme, diskriminierende und diffamierende Aussagen sind verboten.

Rügen vom Presserat

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Eben erst rügte der Presserat «ArcInfo», den Online-Auftritt der beiden Zeitungen «L’Impartial» und «l’Express». Der Grund: Ein anonymer Online-Kommentar wurde in der Printausgabe abgedruckt. Ursina Wey, Fürsprecherin des Presserates, erklärt die Rüge: «Solche Kommentare sind Teil der öffentlichen Debatte. Der Leser hat das Recht, die Autoren zu kennen, um die Relevanz einer Meinungsäusserung einschätzen zu können.»

In der Romandie sorgt der Fall für heftige Diskussionen. Nicht so in der Deutschschweiz. Obwohl hier fast täglich anonyme, diffamierende oder diskriminierende Kommentare online erscheinen.

News-Portale auf Lösungssuche

Aber: In den Onlineredaktionen findet derzeit ein Umdenken statt. Immer mehr Redaktoren fragen sich, wie man der zunehmenden Menge anonymer Kommentare Herr werden kann – und wie man User zu verantwortungsvollen Diskursteilnehmern erzieht. Beispielsweise bei der NZZ. 400 bis 800 Kommentare sichtet die Redaktion jeden Tag. Etwa ein Viertel verstösst gegen die mittlerweile sehr strenge Netiquette.

Weniger streng sind allerdings die Anforderungen, wenn es um die Identität der User geht: «Zurzeit ist das sehr niederschwellig. Er muss sich mit einer E-Mail-Adresse registrieren. Aber beim Benutzernamen ist er frei, er kann ein Pseudonym haben», sagt Social-Media-Redaktorin Adrienne Fichter.

Ein Ende der Anonymität?

Strenger sind die Anforderungen bei Newsnet, dem Onlineverbund von Zeitungen wie «Tages-Anzeiger», «Bund», «Berner Zeitung» oder «Basler Zeitung». Hier werden die User kontrolliert – passen IP-Adresse, Namen und angegebene Adresse nicht zusammen, wird der User gesperrt. Kontrolliert wird lediglich mittels Stichproben.

Die Folge: Auch bei Newsnet passieren immer wieder Fehler. Heikel wird das vor allem dann, wenn Online-Kommentare den Weg in die gedruckte Zeitung finden – wie beispielsweise auf der Leserforumsseite beim «Tages-Anzeiger»: «Wir berücksichtigen Tweets und Facebook-Einträge, aber auch Online-Kommentare», sagt Social-Media-Redaktor Christian Lüscher.

Regelmässige Verstösse

Mit den sozialen Medien beginnen die Probleme bei den Online-Kommentaren aber erst richtig. Denn wer garantiert, dass Facebook- oder Twitter-User ihren richtigen Namen verwenden? Einzelne Portale, wie auch srf.ch/news , setzen darum mittlerweile auf eine Verifikationspflicht mittels Handy-Nummer.

Doch das ist eine Minderheit. Viele Newsportale verstossen daher täglich gegen die Vorgaben des Presserates. Von einer Missachtung der seit vier Jahren geltenden Richtlinien will man dort aber nichts hören: «Unsere klare Stellungnahme von 2011 hat einiges in Bewegung gesetzt. Deswegen denke ich, dass der Presserat auch zufrieden ist mit der Debatte, die das ausgelöst hat», sagt Fürsprecherin Ursula Wey.

Richtig ist: In vielen Redaktionen wird derzeit intensiv über mögliche Strategien im Umgang mit Online-Kommentaren diskutiert. Und immer mehr zeigt sich: Wer eine interessante Debatte möchte, muss die Community pflegen. Und das wiederum kostet Geld. Geld, das viele Redaktionen heute nicht mehr haben.

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