Menschen mit geistiger Behinderung werden immer älter – unter anderem dank guter medizinischer Versorgung und gezielter Förderangebote. Um 1930 lag die Lebenserwartung von Männern und Frauen mit einer kognitiven Beeinträchtigung bei gut 20 Jahren, inzwischen ist sie auf 70 Jahre geklettert und nähert sich jener der Durchschnittsbevölkerung an.
Rund 3000 geistig Behinderte dürften in den nächsten zehn Jahren in Schweizer Wohnheimen das Pensionsalter erreichen. Und sogar 5500 behinderte Personen haben bereits in den nächsten fünf Jahren die Altersgrenze von 55 Jahren erreicht oder überschritten.
Die Schätzungen stammen von Monika T. Wicki, die mit ihrem Team an der Interkantonalen Hochschule für Heilpädagogik in Zürich (HfH) das palliative Pflegeangebot in Wohnheimen für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen erforscht.
Sensibilisierung von Gesellschaft und Politik
Diese Entwicklung stellt die Institutionen für Menschen mit geistiger Behinderung vor neue Aufgaben und Entscheidungen. INSOS Schweiz, der nationale Branchenverband für Menschen mit Behinderung, setzt sich dafür ein, dass Behinderte auch im Pensionsalter ein möglichst selbstbestimmtes Leben führen können.
Dies bedinge zum einen, dass die Institutionen ihre Leistungen und Angebote den veränderten Bedürfnissen von Menschen mit Behinderung im AHV-Alter anpassen. Zum andern brauche es eine breite Sensibilisierung von Gesellschaft und Politik sowie gesetzliche Rahmenbedingungen, die es älteren Menschen mit Behinderung erlauben, ihren Wohnort selber zu wählen und, falls gewünscht, in ihrer bisherigen Institution bleiben zu dürfen, fordert INSOS.
Umzug ist für Behinderte «sehr schwierig»
Laut der Studie von Wicki können die Bewohner in jedem dritten Wohnheim bis ans Lebensende wohnen bleiben, wenn sie dies möchten. Die restlichen zwei Drittel der Wohnheime können heute eine Begleitung bis ans Lebensende aus personellen Gründen oder wegen der fehlenden Infrastruktur nicht gewährleisten.
Für die betroffenen Personen bedeutet dies im Krankheitsfall einen Umzug ins Alters- oder Pflegeheim oder ins Spital. «Das ist für geistig Behinderte sehr schwierig», sagt Wicki. Das Verlassen der gewohnten Umgebung könne zu auffälligem Verhalten und sogar zu Aggressionen führen. Sie fordert deshalb: «Auch geistig behinderte Menschen sollten wählen können, wo sie ihr Lebensende verbringen.»