Die sexuellen Übergriffe auf Frauen in Deutschland in der Silvesternacht haben eine hitzige Diskussion über das Frauenbild muslimischer Männer und die Sicherheit europäischer Frauen in der aktuellen Flüchtlingskrise entfacht. Zu Recht wiesen Frauenrechtlerinnen darauf hin, dass sexualisierte Gewalt und Sexismus ein generelles Problem darstellten und nicht aus muslimisch geprägten Gesellschaften importiert worden seien. Wenig Beachtung fand aber die Frage, wie es um die Situation von Flüchtlingsfrauen bestellt ist.
Dabei sind gerade sie sexualisierter Gewalt besonders stark ausgesetzt: Auf der Flucht bewegen sie sich weitgehend in illegalen Räumen und werden von Menschenschmugglern nicht selten bedrängt. In Europa angekommen leben sie monatelang auf engstem Raum mit fremden, allein reisenden Männern und sind aufgrund ihres unklaren Status in höchstem Masse abhängig.
Belästigungen auch durch Europäer
Wie Amnesty International in einer aktuellen Studie zum Thema schreibt, erfahren Flüchtlingsfrauen nicht nur durch andere Flüchtlinge sexuelle Belästigung und Gewalt. Auch Europäer würden ihre Not und Abhängigkeit ausnutzen: So gaben die in Norwegen und Deutschland befragten Frauen an, unter anderem auch von europäischem Sicherheitspersonal belästigt worden zu sein.
Auch in der Schweiz ist sexualisierte Gewalt gegen Flüchtlingsfrauen ein Thema. Die Menschenrechtsorganisation Terre des Femmes untersuchte 2014 in einem Bericht zur Unterbringung und Betreuung asylsuchender Frauen in Kollektivunterkünfte ihre Situation. Darin stellte Terre des Femmes eine mangelnde Sensibilität für genderspezifische Unterbringung fest sowie das Fehlen einheitlicher Richtlinien bei der Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingsfrauen.
Kaum niederschwellige Angebote
Für Milena Wegelin, Fachfrau Gender Based Violence von Terre des Femmes Schweiz, zeigt sich das Fehlen von Standards auch bei der Sensibilisierung der Betreuer. «Vielen fehlt das Wissen über bestehende Beratungsstellen. Dadurch können sie betroffenen Frauen auch schlecht helfen.» Aufgrund der fehlenden Vermittlung zu niederschwelligen Hilfsangeboten wird betroffenen Frauen der Zugang zu Unterstützung verwehrt, so Wegelin.
Terre des Femmes versucht dem fehlenden Wissen über geschlechtsspezifische Gewalt mit periodischen Veranstaltungen entgegenzuwirken. «Diese Module werden von verschiedenen Zentren gebucht. Sie sind aber freiwillig und werden bei weitem nicht von allen in Anspruch genommen.»
Sensibilisierung wird ernst genommen
Das Informationsangebot von Terre des Femmes nimmt unter anderem das Asylbetreuungsunternehmen ORS in Anspruch. Das Privatunternehmen hat sich auf die Unterbringung von Asylsuchenden und Flüchtlingen spezialisiert und betreut in der Schweiz täglich über 5000 Asylsuchende. Regelmässig organisiert ORS in Zusammenarbeit mit Terre des Femmes und der Beratungs- und Informationsstelle für Frauen gegen Gewalt in Ehe und Partnerschaft (BIF) den Kurs «Gewaltbetroffene Frauen im Migrationskontext».
Auch würden Flüchtlingsfrauen in der täglichen Betreuungsarbeit darauf hingewiesen, dass sie sich bei Problemen an die Betreuungspersonen wenden könnten. «Wir achten auch darauf, dass in jedem Team weibliche Betreuungspersonen sind. Wir wissen, dass sich Flüchtlingsfrauen bei solchen Themen vorzugsweise an Frauen wenden.» Darüber hinaus würden die Informationen den Fachstellen für Opferberatung in den Zentren zur Verfügung gestellt.
Getrennte Schlafräume reichen nicht aus
Grossen Wert legt das Asylbetreuungsunternehmen ORS auch auf die geschlechtsspezifische Unterbringung der Frauen und Männer. «Alleinreisende Frauen und Männer schlafen nicht in gemischtgeschlechtlichen Räumen. Nach Möglichkeit versuchen wir den Frauen auch ganze Stockwerke oder Hausteile zuzuweisen.»
Auch bei den sanitären Anlagen sei bei den ORS geführten Zentren nicht immer eine geschlechtsspezifische Trennung möglich: «Wenn wir keine getrennten Waschräume anbieten können, gibt es für Frauen und Männer unterschiedliche Duschzeiten.»
Aus Sicht von Terre des Femmes ist eine geschlechtsspezifische Unterbringung, die sich auf getrennte Schlaf- und Waschräume beschränkt, jedoch unzureichend. Ohne weitere räumliche Trennung müsse davon ausgegangen werden, dass für die Frauen nur schon ein Gang zur Dusche belastend sein könne.