Bundespräsident Johann Schneider-Ammann hat sich den Campus der ETH in Lausanne als Ort für das Gespräch zum 1. August ausgesucht. «Die Romandie ist ein wichtiger Landesteil – und die EPFL ist eines ihrer Flaggschiffe», begründet er seine Wahl. Die Schule leiste einen wichtigen Beitrag zur Wohlfahrt des Landes.
Wie aber geht es diesem Land? «Es geht uns im Quervergleich gut», sagt Schneider-Ammann. Den Menschen im Land wünscht er zum Bundesfeiertag «eine gewisse Demut» und den Ansporn, nicht am Fleck zu bleiben.
Wie geht es weiter im schwierigen Verhältnis zur EU? Kann der Brexit eine Chance sein für die Schweiz? Und welche Erinnerungen hat Johann Schneider-Ammann an den 1. August im Emmental? Seine Antworten können Sie hier in Auszügen nachlesen.
Das Interview in Auszügen
1. Die Zwischenbilanz als Bundespräsident
Das erste halbe Jahr ist ausserordentlich anstrengend und schön gewesen. Ich hatte interessante Begegnungen im Weissen Haus, in Singapur oder im Vatikan. Man hat in diesem Amt Zugang zu den wichtigsten Leuten und auf diesem Wege Gelegenheit, jemanden kennenzulernen und etwas zu lernen. Und es gibt auch Momente, in denen man stolz ist: Etwa wenn das Vis-à-vis sich dafür interessiert, wie wir in der Schweiz die Dinge angehen. Wie wir es zum Beispiel schaffen, die Arbeitslosigkeit so tief zu halten – bei Jung wie Alt. Ein Höhepunkt war sicher die Reise in den Iran [im Februar – Anm. der Red.] Erst wenige Tage zuvor waren die Sanktionen erleichtert worden, und seither geht es darum, den Iran wieder in die internationale Gemeinschaft zu integrieren. Wir haben bei all unseren Gesprächspartnern bis hin zum obersten Religionsführer Ali Chamenei den Wunsch nach Unterstützung und Zusammenarbeit gespürt. Dieser Besuch war eine Punktlandung – beim Zeitpunkt, bei den Interessen und bei der Zusammensetzung der Schweizer Delegation.2. Zur Lage der Schweizer Unternehmen
Wenn Sie mich fragen, sehen wir eine schleichende Deindustrialisierung. Wir haben in den vergangenen sechs Jahren 50'000 Arbeitsplätze in der Industrie und im Gewerbe abgebaut. Wir haben gleichzeitig etwa das Dreifache in den staatsnahen Bereichen aufgebaut. Per Saldo haben wir also mehr Arbeitsplätze geschaffen, aber die wertschöpfungsintensiven sind weniger geworden. Ich habe von vielen mittelständischen Unternehmen nach dem Wegfall des Euro-Mindestkurses gehört, dass es unmöglich sei, unter diesen Bedingungen in den Exportmärkten zu bestehen. Zwischenzeitlich stellen wir aber fest, dass sich viele Firmen durch Abstriche bei den Margen und Innovationen im Markt halten können. Und was mich besonders freut: Viele Industrieunternehmen sehen in der bevorstehenden Digitalisierung, dieser Industrie 4.0, eine Chance. Der Spirit hat sich verändert. Es geht vorwärts.3. Zum Verhältnis mit der EU
Wir sind in einem Dilemma. Wir müssen einen Weg finden, die Personenfreizügigkeit möglich zu machen und gleichzeitig den Volkswillen umsetzen und die Zuwanderung dämpfen. Das ist die Quadratur des Kreises, aber wir arbeiten daran, diese beiden Enden zusammenzubringen. Das ist nicht einfach – schon gar nicht nach dem Brexit. Aber ich bleibe zuversichtlich: Am Ende wollen sowohl die EU als auch wir geregelte Verhältnisse. Ich kann nicht sagen, wann wir eine Lösung haben und wie sie aussehen wird. Aber ich bleibe dabei: Es muss sie geben. Wir müssen aufeinander zu gehen, weil es in unserem gemeinsamen Interesse ist. Derzeit laufen intensive Verhandlungen auf technischer Ebene, unsere Staatssekretäre machen keine Ferien. Am 19. September steht in Brüssel ein weiteres Treffen mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker an, der gesagt hat, dass er in den kommenden Wochen Fortschritte sehen will. Wie weit wir kommen und was das Resultat am 19. September sein könnte? Das kann ich ihnen im Moment nicht sagen.4. Zum Brexit und den Folgen für die Schweiz
Mein Eindruck aus Brüssel ist, dass es mehrere Jahre dauern wird, bis Grossbritannien und die EU ihr künftiges Verhältnis geklärt haben. So lange können und wollen wir nicht warten. Wir haben einen Volksauftrag und brauchen bis zum 9. Februar 2017 eine Lösung. Und in Brüssel ist man sich natürlich bewusst: Alles, was die Schweiz nun bekommt, wird später auch von den Briten beansprucht werden. Das macht es einigermassen schwierig.5. Zum 1. August
Ich bin in Affoltern in Emmental aufgewachsen – einer Gemeinde, in der man sich sehr viel Mühe gab, den 1. August zu feiern. Es wurde ein Feuer gemacht, es gab Zuckerstöcke und Frauenfürze, und es wurde viel gesungen. Ich habe gute Erinnerungen an diese Feiern. Was ich dem Land zum 1. August wünsche? Eine gewisse Demut. Und dass wir uns nicht mit dem zufrieden geben, was wir haben. Wir sollten uns anspornen, besser zu werden. Dimitri, der vor ein paar Tagen gestorben ist, hat in seiner Dankesrede zum «Schweizer des Jahres» gesagt, er nehme den Preis an, um besser zu werden. Das muss die Devise sein: Wir haben nie ausgelernt, wir dürfen uns nicht zurücklehnen – das wäre gefährlich. Aber: Uns geht es im Quervergleich gut, und das haben wir dem Fleiss, der Verlässlichkeit und dem offenen Arbeitsmarkt zu verdanken.
Gespräch zum 1. August
Das Interview in voller Länge
Christoph Nufer, Leiter der Bundeshausredaktion in Bern, befragt Johann Schneider-Ammann. Der Bundespräsident wählte den Campus der ETH in Lausanne für das Gespräch. Hier können Sie das Interview in ganzer Länge anschauen.