Der grösste je bekannt gewordene Fall von Atomwaffenschmuggel flog vor elf Jahren auf. Der Verkäufer war Abdul Kadeer Khan, der Vater der pakistanischen Atombombe. Libyen hatte bei ihm 15‘000 Uranzentrifugen geordert, genug um Sprengstoff für Dutzende Atombomben zu erzeugen.
In den Libyen-Deal verwickelt waren der Vater und die zwei Söhne der Familie Tinner im Rheintal. Dieselben Tinners, die nach jahrelanger Zusammenarbeit mit Khan die CIA informierten.
Anklage: Ingenieur von Tinner zum Projektabbruch aufgefordert
Jetzt steht ein 65-jähriger Ingenieur vor Bundesstrafgericht. Er hatte im Auftrag der Tinners ab Januar 2003 Steuerungen von Gasultrazentrifugen entwickelt. Dass diese dem libyschen Atomwaffenprogramm dienen sollten, erfuhr der Beschuldigte gemäss Anklageschrift im Juni 2003.
Im gleichen Monat brach die CIA bei den Tinners ein und erbeutete Atomwaffenpläne. Im August forderte Marco Tinner den Ingenieur auf, das Projekt abzubrechen, wie die Anklageschrift weiter festhält. Der Beschuldigte aber habe seine Entwicklung auf eigene Faust nach Libyen verkaufen wollen und bis zum 11. September Schema-Zeichnungen und Konzeptionen vollendet.
Doch der Plan lief schief, und die Ereignisse überstürzten sich: In einer Geheimdienstaktion wurde im Oktober ein mit Gasultrazentrifugen beladenes Frachtschiff mit Ziel Libyen aufgebracht. Zwei Monate später erklärte der libysche Aussenminister den Ausstieg aus dem Atomwaffenprogramm.
Anklage: Durch eigene Aussagen und Tinner belastet
Die malaysische Polizei belastete die Tinners schwer. So kamen 2004 die Ermittlungen auch in der Schweiz ins Rollen – gegen die Tinners und den jetzt gegen den Beschuldigten. 2007 beschloss der Bundesrat die Vernichtung der beschlagnahmten Atomwaffenpläne. Darunter auch Unterlagen, die beim jetzt Angeklagten konfisziert worden waren.
Die Tinners waren geständig, ihr Lieferant, der Ingenieur aber nicht. Darum wurde sein Verfahren vom Tinner Prozess abgetrennt und wird erst jetzt verhandelt. Gemäss Anklage wurde der Beschuldigte durch seine eigenen Aussagen und diejenigen von Marco Tinner belastet.
Mildes Urteil absehbar
Schon im Fall Tinner hat das Bundesstrafgericht gerügt, dass die Strafen unter dem Mass liegen, welches das Verschulden der Täter verlangt. Im Fall des Ingenieurs fordert der Staatsanwalt nun eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen. Der Beschuldigte beteuere seine Unschuld, sagte dessen Verteidiger Anfang Woche.
Der Vorwurf an den Bundesrat bleibt aktuell: Nämlich dass dieser mit der Aktenvernichtung ohne Not milde Urteile bei den Tinners und nun möglicherweise gar einen Freispruch für den Ingenieur ermöglicht habe – und dies im grössten Atomwaffentechnik-Schmuggelfall der Geschichte.