SRF: Herr Halilovic, Sie sind der Sohn des Imams der bosnischen Gemeinde in Schlieren. Wie wichtig ist der Glaube für Sie?
Abduselam Halilovic: Ich hatte eine Phase, in der ich nichts mit dem Islam zu tun haben wollte. Seit drei, vier Jahren lebe ich meinen Glauben aktiv. Ich versuche, Gebetszeiten so gut es geht einzuhalten. Als Student ist das relativ einfach. Wir haben an der Uni einen überkonfessionellen Gebetsraum, den ich nutzen kann. Das sich auch Jugendliche für ihre Religion interessieren, ist eine neue Entwicklung. Seit 9/11 und mit der Medienberichterstattung setzen sie sich verstärkt mit ihrer muslimischen Identität auseinander. Das ist für einige auch belastend.
Herr Hak, sind Sie Christ?
Hak: Nein, ich bin Atheist und konfessionslos. Das gehört aber nicht hierhin, Glaube ist Privatsache. In meiner Arbeit mit Jugendlichen spielt Religion nur eine untergeordnete Rolle. Man sieht es etwa dann, wenn an Partys Hotdogs angeboten werden. Dann fragen einige Jugendliche, ob darin Schweinefleisch enthalten ist. Oft bin ich dann überrascht, wer sich als Muslim herausstellt. Für viele Jugendliche sind andere Dinge wichtiger als Religion.
Halilovic: Vor allem in diesem Alter. Die Auseinandersetzung mit dem Glauben kommt erst später.
Sie haben es angesprochen: Der 11. September, Charlie Hebdo, die Entwicklungen um den sogenannten Islamischen Staat IS. Ist das Thema unter den Jugendlichen?
Hak: Nein, bei uns nicht. Anders bei der letzten Offensive der Israelischen Armee im Gaza-Streifen. Da haben sich viele Jugendliche mit den Palästinensern solidarisiert. Der Anschlag auf Charlie Hebdo ist für die Jugendlichen viel zu weit weg von ihrer Alltagsrealität. Ich habe in den zehn Jahren, in denen ich in der Jugendarbeit tätig bin, nur zwei, drei Jugendliche erlebt, die sich radikalisiert haben. In diesem Alter suchen Menschen nach ihrer Identität, nach Vorbildern, und vielleicht nach einer einfachen Erklärung für die Welt. Einzelne driften in den religiösen Fanatismus ab. Zurzeit wird das in Bezug auf Muslime in der Schweiz aber extrem aufgebauscht. Wir haben viel dringendere Probleme in der Gesellschaft.
Halilovic: Bei uns ist das anders, der IS und seine Gräueltaten sind immer Thema. Ich kenne niemand, der das befürwortet. Das ist nicht Teil unserer Religion und es ist schade, dass der Islam und die Muslime in die Extremismus-Ecke gedrängt werden. Das empfinden einige Jugendliche als bedrückend. Da muss man eine dicke Haut haben.
Herr Halilovic, Sie haben sich gerade von sich aus vom IS distanziert. Stört Sie der Rechtfertigungsdruck?
Halilovic: Wenn jemand von mir verlangt, ich müsse mich distanzieren, dann schon. Wenn ich das von mir aus tue, ist das kein Problem. Der sogenannte Islamische Staat hat weder mit mir, noch mit Muslimen etwas zu tun.
Gegenüber dem «Echo der Zeit» hat ein muslimischer Jugendlicher gesagt, die Karikaturisten von «Charlie Hebdo» seien mitschuldig an den Geschehnissen – schliesslich dürfe man den Propheten nicht beleidigen. Ist er mit dieser Ansicht alleine?
Hak: Auf die Gesamtheit der muslimischen Jugendlichen bezogen steht er sicher alleine. In streng gläubigen Gruppen dürfte diese Ansicht aber häufiger sein.
Halilovic: Ich kenne niemanden, der die Tötung der Karikaturisten als gerecht empfindet – das ist es nicht. Im Fall von Charlie Hebdo hätte man strafrechtlich dagegen vorgehen müssen. Dass Irre deswegen Menschen erschiessen, ist völlig falsch. Aber uns gläubigen Muslimen ist der Prophet wichtig. Ich würde daher nie sagen «Je suis Charlie».
Soll es in einer Demokratie möglich sein, Karikaturen zu veröffentlichen, die religiöse Gefühle verletzen?
Halilovic: Ja, in einem gewissen Rahmen schon. Nirgends auf der Welt ist die Meinungsfreiheit absolut uneingeschränkt gegeben. Wir leben in einem Rechtstaat, der die Meinungsfreiheit garantiert und gleichzeitig Mittel zur Verfügung stellt, um gegen Missbrauch der Meinungsfreiheit vorzugehen.
Hak: Es stellt sich auch die Frage nach der Art der Satire. Es ist ein Unterschied, ob man jemanden auf die Schippe nimmt, oder ob man eine ganze Bevölkerungsgruppe fertig macht.
Satire nimmt auch andere Religionen ins Visier – etwa das deutsche Satiremagazin «Titanic», das den Papst mit einem Urinfleck auf der Soutane zeigte.
Hak: Die Kritik an der christlichen Obrigkeit hat hier eine lange Tradition. Gerade die Fasnacht als urchristliche Tradition bietet während einigen Tagen die Narrenfreiheit, sich über Pfarrer, Bischöfe oder den Papst lustig zu machen. Das beleidigt hier niemanden mehr. Man hat gelernt zu unterscheiden, ob sich jemand über Jesus lustig macht, oder über mich als Person, weil ich dieser Religion angehöre. Muslime stehen aber momentan unter ständigem Beschuss und reagieren daher auch sensibler.
Halilovic: Muslime sind hier eine Minderheit und meist Ausländer. Zu der alltäglichen Diskriminierung kommen dann noch Beleidigungen unserer Religion dazu, und wir sollen das aushalten und ruhig sein. Wenn in einer Mehrheitskultur wie hier im Christentum Witze über die Religion gemacht werden ist das etwas anderes, als wenn gegen Minderheiten geschossen wird.
Was wünschen Sie sich für das künftige Zusammenleben in der Gesellschaft?
Halilovic: Wir brauchen Zeit. Wie jede Ausländergruppe durchlaufen auch Muslime einen Prozess, bis sie als Teil der Gesellschaft akzeptiert werden. Ich glaube, wir sind auf gutem Wege dazu. Es gibt positive Entwicklungen, etwa die Anerkennungsbestrebungen in verschiedenen Kantonen oder Anstrengungen zu einer Imam-Ausbildung in der Schweiz.
Hak: Der Nährboden für Hass ist Armut und Unterdrückung. Wenn wir Muslime teilhaben lassen an unserem Wohlstand, an unserer Gesellschaft, dann wird sich das gut entwickeln. Schwierig wird es dann, wenn sich Ghettos mit Jugendarbeitslosigkeit und Armut wie in einigen Pariser Vororten bilden. Diese Gefahr sehe ich in der Schweiz nicht.
Halilovic: Jugendliche und Erwachsene, die sich radikalisieren, haben oft keine Zukunftsperspektiven. Sie radikalisieren sich auch als Reaktion auf die Art und Weise, wie sie behandelt werden.
Hak: Die Zusammenarbeit der verschiedenen Religionen funktioniert grundsätzlich gut. Wichtig ist, dass sich keine Gruppen wegen ihrer Religion isolieren und sich von der Gesellschaft abspalten. Das bedeutet, die Gruppen zu fördern, die offen und dialogbereit sind.
(Echo der Zeit, 30.03.15, 18 Uhr)