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Die Schweiz, garniert von Minaretten.
Legende: In Schweizer Medien wird vergleichsweise häufig über den Islam berichtet. Keystone

Jetzt reden wir! Islam in Schweizer Medien – ein Zerrbild der Realität

Muslime sind Bad News. Das zeigen Studien, die Nachrichten über den Islam weltweit untersuchten. In der Schweiz wird vergleichsweise neutral berichtet – und trotzdem nicht über den Alltag von Schweizer Muslimen.

Scharia-Gerichte, muslimische Ghettos, radikale Jugendliche, Terror: Wenn Schweizer Medien über den Islam berichten, sind es grösstenteils schlechte Nachrichten. Das zeigt der aktuellste Stimmungsbericht der privaten Medienforscher von Media Tenor. Sie haben weltweit die Berichterstattung über Muslime und ihre Religion untersucht und in negative, neutrale und positive Nachrichten eingeteilt. Analysiert wurden die Berichte grosser TV-Sender – in der Schweiz des Schweizer Radio und Fernsehens SRF.

Zahlen und Fakten

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Woher stammen die Muslime in der Schweiz? Wie sind sie organisiert? Welchen islamischen Bewegungen gehören sie an? Hier geht’s zur Infografik.

Rund zwei Drittel der hiesigen Nachrichten über Muslime lassen ihre Religion in einem schlechten Licht erscheinen, so der Befund des Berichts. Eine Studie der Universität Zürich und der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaft aus dem Jahr 2008 kommt zu ähnlichen Resultaten: In rund 240 untersuchten Beiträgen von Fernsehen, Radio und acht grossen Tageszeitungen – darunter «Blick», «NZZ», «Tagesanzeiger» und «20 Minuten» – erscheinen der Islam und seine Akteure meist als Schuldige oder Bösewichte.

Terror als Triebfeder der Berichterstattung

Zudem wird in Schweizer Medien vergleichsweise häufig über den Islam berichtet: Über 37 Prozent der Nachrichten mit Religionsbezug thematisierten Muslime und ihre Religion. Der Anteil der muslimischen Bevölkerung in der Schweiz lag zum Zeitpunkt der Zürcher Studie bei rund 4,5 Prozent.

Damit ist der Islam in Schweizer Nachrichten grösstenteils negativ dargestellt und gleichzeitig stark überrepräsentiert. Der Grund: Inhalt der Berichterstattung sind mehrheitlich Ereignisse im Ausland. «Politische Konflikte oder Gewaltereignisse weisen hohe Nachrichtenwerte auf, was die Thematisierungschancen in den Medien erhöht», halten die Autoren der Zürcher Studie fest. Dabei stellt der 11. September 2001 ein Wendepunkt dar, heisst es im Stimmungsbericht von Media Tenor. Der Anschlag auf die Türme des World Trade Center mit 3000 Toten habe die Berichterstattung über den Islam grundsätzlich negativ geprägt – auch in der Schweiz.

Medienbild dient der Symbolpolitik

Die Folge: Der in den Schweizer Medien präsentierte Islam habe mit der »Lebensrealität der Schweizer Muslime» nur sehr wenig zu tun, sagt Urs Dahinden, Medienwissenschaftler und Co-Autor der Zürcher Studie. Das sei besonders brisant wenn es um politische Prozesse gehe: «Bei Abstimmungen orientieren sich die Stimmbürger grösstenteils am Medienbild.» Und das zeige halt eben nicht den Alltag der Schweizer Muslime.

Dieser Umstand biete Nährboden für die politische Instrumentalisierung des Islams, sagt der Medienwissenschaftler. «So werden alte kulturelle Stereotypen immer wieder aufgewärmt.» Das Ergebnis sei oft Symbolpolitik ohne Bezug zur Realität – wie etwa das seit 2009 in der Verfassung festgeschriebene Minarettverbot.

Der Medienwissenschaftler nimmt daher die Medien in die Pflicht. Sie sollen «nicht nur problematisieren, sondern auch positiv berichten», sagt Dahinden. In den Nachrichtenredaktionen seien zu wenig Journalisten beschäftigt, die einen muslimischen Hintergrund hätten oder sich mit Religion allgemein auskennen würden. Es brauche daher «mehr kulturelle und religiöse Vielfalt» unter den Medienschaffenden.

Zwei Printmedien nach dem Anschlag in Paris.
Legende: Zwei Schweizer Printmedien nach dem Anschlag in Paris. Keystone

Charlie Hebdo: ein Umbruch?

Nicht nur die Medien selber, sondern auch die Muslime in der Schweiz tragen zu der negativen Berichterstattung über ihre Religion bei, hält Dahinden fest. «Sie haben bislang keine organisierte Öffentlichkeitsarbeit aufgebaut, sondern betreiben Krisen-PR.» Eine engere Zusammenarbeit unter den verschiedenen Verbänden sei nötig, damit auch die Alltagsrealität von Schweizer Muslimen in die Berichterstattung einfliessen könne.

Hoffung auf eine realitätsnähere Berichterstattung über den Islam in der Schweiz gibt ausgerechnet ein Terror-Akt mit islamistischem Hintergrund: Der Anschlag auf Charlie Hebdo. «Durch die geografische und kulturelle Nähe der Schweiz zur Schwesternation Frankreich interessieren sich Bevölkerung und Journalisten nun auch hierzulande vermehrt für den muslimischen Alltag», erklärt Dahinden. Zudem hätten Schweizer Muslime erstmals von sich aus Stellung bezogen und seien im Nachgang des Attentats in den Medien präsent gewesen. «Wie nachhaltig diese Veränderung ist, wird sich zeigen.»

(Echo der Zeit, 30.03.15, 18 Uhr)

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