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Schweiz «Kantone haben den Ernst der Lage erkannt»

In der Schweiz hat nur die Hälfte aller Flüchtlinge eine Arbeit. Nun machen sich die Kantone daran, das Problem anzupacken.

Wer als Ausländer in die Schweiz kommt, integriert sich in erster Linie über die Arbeit. Das funktioniert gut – ausser bei zwei Gruppen: bei den Flüchtlingen und den vorläufig Aufgenommenen.

Amnestys Flüchtlingspetition

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Amnesty Schweiz hat mit einer von 11'000 Personen unterzeichneten Petition, den Bundesrat dazu aufgefordert, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Ausserdem solle dieser seine Anstrengungen für die Schaffung sicherer und legaler Migrationsrouten verdoppeln und besonders verletzlichen Flüchtlingen wie Kranke oder Kinder ein humanitäres Visum gewähren.

Nach zehn Jahren hat bei den Flüchtlingen jeder zweite eine Arbeit; bei den vorläufig Aufgenommenen ist es gerade einmal jeder vierte. Das hat eine Studie des Staatssekretariats für Migration ergeben. Was aber sind die Gründe für diese tiefe Erwerbsquote? Hürden gibt es viele.

  • Fehlende Schulbildung, fehlende Ausbildung: Viele Flüchtlinge haben keine Ausbildung abgeschlossen. Deutschkurse und Lehren kosten aber viel Geld. Der Bund zahlt den Kantonen einen Integrationsbeitrag von 6000 Franken pro Person, mit dem beispielsweise Sprachkurse finanziert werden können. «Doch reicht der Beitrag in vielen Fällen nicht aus, um ein Deutschniveau zu erreichen, das für eine Stelle nötig ist», sagt Nicole Gysin von der Konferenz der kantonalen und kommunalen Integrationsdelegierten (KID).
  • Politische Widerstände: Deutschkurse oder Ausbildungen zahlen sich zwar langfristig aus, wenn dadurch die Sozialhilfequote von Flüchtlingen abnimmt. Doch mit höheren Beiträgen für die Integration von Flüchtlingen lassen sich keine Wahlen gewinnen.
  • Unwissen: «Noch immer sorgt der Status ‹Vorläufig aufgenommen› bei Arbeitgebern für Verwirrung», sagt Gysin. «Vielen glauben, diese Menschen könnten die Schweiz jeden Moment wieder verlassen – auch wenn das nicht der Realität entspricht.»
  • Wirtschaftlichkeit: «Viele Unternehmer wären durchaus bereit, Flüchtlinge einstellen», sagt Gysin. «Oft scheitert es aber daran, dass ein Flüchtling – etwa wegen Sprachproblemen – zunächst nicht dieselbe Arbeitsleistung bringen kann wie ein anderer Arbeitnehmer.»
  • Administrative Hürden: Heute ist es für Arbeitgeber einfacher, einen Europäer anzustellen als einen Flüchtling, der bereits in der Schweiz wohnt.
  • Extra Steuern: Vorläufig Aufgenommene müssen heute 10 Prozent ihres Lohnes an den Bund überweisen. Das reduziert den Anreiz, eine Stelle zu suchen.
  • Wenig Jobs für Tiefqualifizierte.
  • Schlechte Gesundheit: «Nicht alle Flüchtlinge sind in der Lage, zu arbeiten», sagt Gysin.

Die Probleme sind also zahlreich. Doch in den letzten Jahren habe bei den Behörden ein Umdenken stattgefunden, sagt Gysin. «Die Kantone haben den Ernst der Lage erkannt.»

Die Gründe für den Gesinnungswandel? Die Zunahme an Flüchtlingen – und die Tatsache, dass unter Justizministerin Simonetta Sommaruga auch der Bund bereit war, mehr Geld in den Integrationsbereich zu investieren. «Heute gibt es ein klares Bekenntnis von Bund und Kantonen, dass die Integration in den Arbeitsmarkt wichtig ist.»

Die Kantone – und auch der Bund – suchen nun Lösungen, um Hindernisse abzubauen. Dazu gehören:

  • Das Case Management: Die kantonalen Behörden versuchen seit ein paar Jahren, für jeden Flüchtling eine individuelle Lösung zu finden. Dazu gehört auch, dass beispielsweise das Integrationsbüro und die Sozialhilfe zusammen arbeiten und Informationen austauschen.
  • Einbezug der Arbeitgeber: Im Kanton Bern läuft seit Juni ein Pilotprojekt, bei dem Kanton und Arbeitgeber gemeinsam versuchen, Flüchtlinge in Unternehmen unterzubringen.
  • Ende der Bewilligungspflicht: In Zukunft sollen Betriebe keine Bewilligung mehr benötigen, wenn sie Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommene anstellen. Der Bundesrat will die bisherige Praxis durch ein Meldesystem ersetzen.
  • Ende der Sonderabgabe: Die zehn Prozent des Lohnes, die vorläufig Aufgenommene an den Bund abliefern müssen, sollen wegfallen. Das regt der Bundesrat an.
  • Flüchtlinge als Erntehelfer: Zusammen mit dem Bauernverband hat der Bund im Mai ein Pilotprojekt lanciert, bei dem Flüchtlinge auf Bauernhöfen arbeiten. Allerdings ist das Echo bis heute bescheiden geblieben: Weniger als ein Dutzend Bauern nehmen am Projekt teil.
  • Schon länger gibt es Projekte wie den einjährigen Riesco-Lehrgang für Flüchtlinge im Gastgewerbe, bei dem Ausbildung und Praktikum kombiniert werden. Ein ähnliches Projekt existiert im Baugewerbe mit «Perspektive Bau». Ziel ist, dass die Flüchtlinge danach eine Stelle finden oder eine reguläre Lehre absolvieren können.

Es sind also viele kleine Schritte, die helfen sollen, die heutige Situation zu verbessern. Wie gut das gelingt, wird sich in den nächsten Jahren zeigen.

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