SRF News: Es heisst ja, der Kanton Aargau spiegle die Schweizer Politlandschaft im Kleinen. Kann man nun eben mit diesem Links-Rutsch davon ausgehen, das die Linken gesamtschweizerisch Aufwind kriegen?
Adrian Vatter: Nein, ich denke, davon kann man nicht ausgehen. Es ist zwar richtig, der Kanton Aargau gilt so ein bisschen als Mikro-Kosmos der Schweiz, das heisst: Die Wählerstärken sind ähnlich wie auf nationaler Ebene. Aber es ist eben nur ein Kanton, und wenn wir uns die kantonalen Wahlen 2016 in anderen Kantonen anschauen, dann sehen wir, dass die SP häufig verloren, oder stagniert hat. Jetzt auf Grund von zwei kantonalen Wahlergebnissen an einem Tag würde ich noch nicht von einem nationalen Trend sprechen.
Kein Spiegel für die nationale Politik im Kleinen, also. Aber vielleicht hat die SP im Kanton Aargau mit einem geschickten Wahlkampf Vorbildcharakter bewiesen. Man sei mit einer Telefonkampagne sehr nahe bei den Leuten gewesen, sagte Kantonal-Parteipräsident Cedric Wehrmuth. Wird jetzt telefoniert bei der SP?
Das war ja schon ein herausragendes Merkmal bei den eidgenössischen Wahlen 2015. Da haben die Sozialdemokraten ja weniger Geld für die Aussenwerbung und viel mehr Mittel für die interne Mobilisierung Geld auf die Seite gelegt. Sie haben sehr viel telefoniert und versucht, Sympathisanten auf ihre Seite zu bringen. Das hat zumindest dazu geführt, dass die SP vor einem Jahr nicht verloren hat. Und jetzt hat das offensichtlich auch im Kanton Aargau Erfolg gehabt.
Und punkten konnte die SP auch mit der Finanz-, Bildungs- und Migrationspolitik – auch da ein wegweisendes Modell?
Ja, wir sehen, dass gerade die kantonalen Sparmassnahmen nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der nationalen Sparmassnahmen Wirkungen haben. Das heisst, dass beispielsweise im Kanton Aargau insbesondere bei der Bildungsfrage sehr intensiv darüber diskutiert wurde, ob man hier weiter sparen sollte. Das hat der SP ganz sicher auch geholfen, dass sie sich bei diesem ganz wichtigen Thema profilieren konnte.
Schauen wir uns noch die Mitte an: Die Sitze, welche die SP im Aargau holen konnte, holte sie bei den Mitte-Parteien. Kann man sagen, dass die Mitte weiter verliert und sich der Trend zur Polarisierung weiter fortsetzt?
Das ist tatsächlich ein Trend, den wir nun seit mehreren Jahren auf nationaler wie auch auf kantonaler Ebene haben. Das heisst: die Pole werden gestärkt. Die SVP kann sich auf sehr hohem Niveau halten. Die SP hat stark zugelegt, währenddem die Mitte-Parteien verloren haben. Das heisst, diese kleinen Parteien sind eben auch bei diesen Themen – die eben die Leute wie auch die politische Agenda umtreibt – zu wenig sichtbar. Denken wir da zum Beispiel an die AHV-Debatte oder an die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative. Das sind Themen, bei denen die Pol-Parteien stark sind und nicht die Mitte-Parteien.
Und wie könnten sich die Mitte-Parteien noch retten?
Das ist sehr schwierig, wenn solche verhärteten politischen Situationen bestehen, wie wir das zurzeit in der Schweiz haben. Ich denke: Eine Lösung wäre, wenn die Mitte-Parteien mit einer Stimme sprechen würden. Wenn sich die kleinen oder immer kleiner werdenden Parteien wie die CVP oder die BDP zusammenschliessen würden und eine neue attraktive Mitte-Kraft bilden würden.
Die Pole legen zu, darüber haben wir gesprochen. Heisst das, dass die neue Strategie der CVP, sich mehr rechts zu positionieren, nicht aufgeht?
Richtig, die neue Strategie des Parteipräsidenten Pfister, sich als eher sozial konservative Kraft zu positionieren – insbesondere bei Wertefragen –, hat vorerst nicht verfangen. Ich denke aber, er ist noch zu früh, jetzt nach zwei Wahlen schon den Stab über diese Strategie zu brechen. Es ist aber auch offensichtlich, dass die CVP-Wähler eher Mitte-Wähler sind und hier diese teilweise konservativen Positionen – wenn wir etwa an die Burka-Verbots-Frage denken – nicht vollständig teilen.
Die Wahlbeteiligung war in beiden Kantonen mit rund 33 Prozent im Aargau und 42 Prozent in Basel-Stadt gering. Was für eine Rolle spielte das?
Wenn wir etwa daran denken, dass in den 1960er-Jahren die Wahlbeteiligung im Kanton Aargau bei 85 Prozent lag, dann sehen wir, was für eine Entwicklung durchgemacht wurde. Generell kann man sagen: Bei einer niedrigen Wahlbeteiligung profitieren die grossen Parteien, weil sie eine Stammwählerschaft haben, die sowieso an die Urne geht, währenddem die kleinen Parteien viel stärker ihre eigenen Leute mobilisieren müssen.
Das Gespräch führte Claudia Weber.