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Nach OP im Rollstuhl: Spitalopfer klagen an
Aus Kassensturz vom 18.10.2016.
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Schweiz Nach Ärztefehlern: Versicherungen zermürben Spitalpatienten

Wenn Ärzte Fehler machen, sollten Haftpflichtversicherungen dafür zahlen. Doch oft müssen Patienten jahrelang um Entschädigung kämpfen. «Kassensturz» zeigt: Die Abwehr von Forderungen kostet Spitäler Millionen. Das Unispital Lausanne geht neue Wege. Es verzichtet auf die Versicherung – mit Erfolg.

«Auch Ärzte können Fehler machen!», sagt Hanspeter Holzer, «Aber sie sollten dazu stehen.» So wie er als Zaunbauer für Fehler auch immer habe gerade stehen müssen. Doch jetzt sitzt er im Rollstuhl. Seine Firma mit zwei Angestellten muss er diesen Monat auflösen, ein querschnittgelähmter Zaunbauer im Rollstuhl ist zuwenig produktiv.

Vier Operationen innert 2 Tagen

Vor sechs Jahren machte ihn die Operation seiner Bandscheibe zum IV-Fall. Der Eingriff verlief katastrophal. Innert zwei Tagen wurde er im Spital Aarberg vom gleichen Arzt viermal operiert: Eine Hauptoperation und drei Nachoperationen wegen Nachblutungen, die seine Rückennerven schädigten. «Ich weiss nur noch, dass in Nottwil im Paraplegikerzentrum auf der Intensivstation aufgewacht bin», sagt Holzer.

Als er nach acht Monaten Rehabilitation im Rollstuhl nach Hause kam, war sein altes Haus behindertengerecht umgebaut. Ihm blieben Kosten über 30‘000 Franken. Bis heute – sechs Jahre später – ist immer noch unklar, ob die Haftpflichtversicherung des Spital Aarberg den Schaden anerkennt. Haftpflichtversicherer des Spitals ist die Allianz. Sie schreibt «Kassensturz»: «Nach einer ersten Sichtung der Akten sahen wir keine Anzeichen für einen Verstoss gegen die ärztliche Sorgfaltspflicht». Seit Frühjahr dieses Jahres läge ihnen eine Haftungsbegründung inklusiv Parteigutachten der Gegenseite vor. Zum weiteren Fallverlauf könne man zum jetzigen Zeitpunkt keine Stellung nehmen.

«Kassensturz» vom 30.08.2016

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Ähnliches beschreiben auch viele andere Patienten, die «Kassensturz» nach dem Beitrag vom 30. August 2016 ihre eigenen Geschichten schilderten. Eine Patientin, die seit neun Jahren um ihr Recht kämpft, schreibt: «Die Verfahren sind langwierig und werden nach Kräften in die Länge gezogen, um die Opfer zu zermürben. Ohne Rechtsschutzversicherung geht irgendwann das Geld aus.»

Frustriert ist auch dieser Patient, der von seinem Arzt nie entschädigt wurde: «Ich habe mir ein sogenanntes Urseli entfernen lassen. Der Arzt meinte, das sei kein Problem. Doch er stach mit der Betäubungsspritze mitten in mein Auge. Es kam zu einer Netzhautablösung. Obwohl der Sachverhalt absolut klar war, hatte ich keine Chance. Neben Arztkosten hatte ich zusätzlich Anwaltskosten. Seit damals bin ich auf einem Auge blind.»

Hohe Kosten für Patienten

Haftpflichtexpertin Bettina Umhang beschäftigt sich ausschliesslich mit Behandlungsschäden. Es sei für einen Patienten schwierig und kostspielig, einen Fehler nachzuweisen. «Ein Patient muss den medizinischen Experten zahlen, er muss den Anwalt zahlen, und wer in der Schweiz als Kläger vor Gericht geht, muss Prozesskosten vorschiessen, das kann sehr teuer werden.»

«Den Patienten soll der Schnauf ausgehen»

Spitäler zahlen hohe Prämien für ihre Haftpflichtversicherung. Diese finanzieren sie mit Krankenkassen- und Steuergeldern. «Kassensturz» fragte die Universitätsspitäler in Bern, Basel und Zürich, wieviel Prämien sie im Jahr bezahlen. Alle drei Kliniken wollten keine Auskunft geben. Für Haftpflichtexpertin Umhang ist klar: «Bei hohen Streitwerten wird der Patient immer öfter auf den Prozessweg verwiesen. Es entsteht der Eindruck, dass darauf spekuliert wird, dass dem Patienten der Schnauf ausgeht.»

Klare Worte einer Expertin:

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Bettina Umhang ist Patientenanwältin und kennt den Kampf von geschädigten Patienten nur zu gut: «Versicherungen spekulieren darauf, dass der Schnauf ausgeht»

«Kassensturz» fragt bei grossen Haftpflichtversicherungen nach: Wieviel Prämiengeld nehmen sie ein? Und vor allem: Wieviel zahlen sie geschädigten Patienten wieder aus? Die Zürich Versicherung, die Axa Winterthur und die Allianz berufen sich auf das Geschäftsgeheimnis. Stellvertretend nimmt der Versicherungsverband Stellung. Das System der Spital- und Arzthaftpflicht funktioniere gut, die meisten Fälle würden aussergerichtlich gelöst. «Die überwiegende Anzahl der Kantons- und Privatspitäler ist bei der Privatassekuranz. Daraus kann man den Schluss ziehen, dass sie mit den Leistungen der Versicherungen zufrieden sind», sagt Herbert Bär, Haftpflichtspezialist beim SVV. «Weil nur wenige Spitäler wenigen Versicherer gegenüberstehen, ist es nicht möglich, die Zahlen zu veröffentlichen, weil das quasi ein Einblick in die Geschäftszahlen der einzelnen Versicherungen und Spitälern ermöglichen würde.»

Es geht auch ohne teure Prämien

Das Gegenbeispiel liefert das Universitätsspital Lausanne, das CHUV. Bis vor acht Jahren zahlte die Klinik 1,5 Mio. Franken Haftpflichtprämien pro Jahr. Und das bei einem Selbstbehalt von 100‘000 Franken pro Schadenfall. Heute hat die Uniklinik keine Haftpflichtversicherung mehr. Schäden bezahlt sie aus einem Fonds, der über Rückstellungen finanziert wird.

Auch für teure Fälle sei man gewappnet, sagt Finanzdirektor Philipp Müller und zieht eine positive Bilanz: «Wir haben in dieser Zeit 12 Millionen Franken eingespart und konnten gegenüber unseren Patienten unsere Verantwortung besser wahrnehmen.» Bei kleineren Behandlungsschäden könne man es sich ohne Versicherung eher leisten, kulant zu sein.

Dass die Spiesse von Patient und Arzt ungleich lang sind, hat auch die Politik erkannt. Patientenschützer und SP-Nationalrat Jean-François Steiert will die Beweispflicht für Patienten erleichtern: «Wenn die Schuldfrage nicht klar ist, sollen Patienten durch einen Fonds entschädigt werden.» Dafür sucht Steiert jetzt Allianzen im Bundeshaus.

Zweiter Fall bekannt

Nach der misslungenen Operation musste Hanspeter Holzer alles wieder lernen: Schlucken, Sprechen, Sitzen. «Kassensturz» weiss: Es gibt eine weitere Patientin, die nach einer Rückenoperation im Spital Aarberg beim gleichen Belegarzt ebenfalls im Rollstuhl ist. Die Fälle liegen drei und sechs Jahre zurück.

Erst jetzt, aufgrund der «Kassensturz»-Recherche reagiert das Spital: Das Schicksal der Patienten mache sie betroffen und berühre sie sehr. «Wir nehmen die beiden Fälle ernst und haben eine sorgfältige medizinische Prüfung eingeleitet. Im Rahmen dieser Abklärungen beleuchten wir auch die internen Systeme und Kontroll-Mechanismen zur Qualitätssicherung kritisch. Zu klären sein wird auch die Frage, ob wir Konsequenzen ziehen müssen in Bezug auf die Zusammenarbeit mit dem betroffenen Arzt.»

Hanspeter Holzer weiss trotzdem noch nicht, ob die Haftpflichtversicherung des Spital Aarberg seinen Operationsschaden je anerkennen wird.

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Studiogespräch mit Bettina Umhang
Aus Kassensturz vom 18.10.2016.
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