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Klima in der Schweiz erwärmt sich schneller als prognostiziert
Aus Rendez-vous vom 22.04.2024. Bild: KEYSTONE/Gian Ehrenzeller
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Neue Klimaprognose Extreme sind nun Realität: Schweizer Klima verändert sich rasant

Die bisherigen Prognosen zur Klimazukunft der Schweiz müssen kräftig nach oben korrigiert werden. Das zeigen Recherchen von SRF. Selbst Forschende sind überrascht von der Geschwindigkeit, mit welcher die Temperaturen steigen.

Wärmster Winter, trockenster Juni, im August in der Nordschweiz fast 40 Grad – wir haben uns an die Rekorde schon fast gewöhnt.

Und trotzdem sei es für ihn als Klimawissenschaftler und Meteorologe eindrücklich, wie gross die Veränderungen seien, sagt Simon Scherrer von Meteo Schweiz.

Grafik zur Erwärmung global und in der Schweiz
Legende: Erwärmung global und in der Schweiz Erwärmung in Grad Celsius, dunkelblau -2 bis dunkelrot +2, Entwicklung ab Mitte 19. Jahrhundert bis 2023 Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie Meteo Schweiz

Parallel dazu haben die Starkniederschläge zugenommen. Sie sind häufiger und intensiver geworden. «Andererseits haben wir im Sommer durch die starke Zunahme der Temperatur eine Austrocknung, die wir vermehrt sehen. Trockene Sommer kommen in den letzten Jahren massiv häufiger vor als früher.»

Grafik der Entwicklung Sommertrockenheit
Legende: Entwicklung Sommertrockenheit Klimatologische Wasserbilanz Schweizer Mittelland in mm (Apr-Sep) / Niederschlag – potenzielle Verdunstung Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie/Analyse S. Scherrer

Soweit Stand heute. Aber wie geht es weiter? Simon Scherrer erarbeitet zusammen mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die Klimaszenarien für die Schweiz, welche das Bundesamt für Meteorologie in regelmässigen Abständen herausgibt.

Die letzten Szenarien aus dem Jahr 2018 müssen massiv überarbeitet werden. Auch wenn die weltweiten Klimaschutzmassnahmen greifen sollten, braucht es lange, bis sie Wirkung zeigen. Das heisst, die Temperaturen werden noch weiter ansteigen – je nach Ernsthaftigkeit der Klimaschutzmassnahmen einfach langsamer oder schneller.

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Die Temperatur in der Schweiz hat sich gegenüber der vorindustriellen Zeit schon um 2.8 Grad erwärmt. «Wir hatten vor vier, fünf Jahren noch von 2 Grad Erwärmung geredet. Jetzt stehen wir bei 2.8. Es kommt nicht mehr so auf die Kommastelle an. Wir denken schon fast in halben Grad, was die Zunahme innerhalb kürzester Zeit betrifft.»

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Archiv: Hitzesommer werden keine Seltenheit mehr sein
Aus Tagesschau vom 13.11.2018.
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Geht man von einem mittleren Szenario aus, wird sich der weltweite Temperaturanstieg in den nächsten 25 Jahren etwa verdoppeln. Weil der Temperaturanstieg über Land und auf der Nordhalbkugel aber stärker ist, gilt für die Schweiz Faktor zwei: «Die mittleren Szenarien sind jetzt im Moment zwischen vielleicht 2.5 bis 3 Grad global. Und in der Schweiz sind wir mit dem Faktor zwei bei 4 bis 5 Grad.»

Vom Extremszenario zur Realität

Die neuen Klimaszenarien für die Schweiz erscheinen erst im nächsten Jahr. Doch wer eins und eins zusammenzählt, kann jetzt schon sagen: Was 2018 noch als Extremszenario galt, ist neu ein mittleres, durchaus realistisches Szenario. 

Die Zunahmen sind wirklich massiv.
Autor: Simon Scherrer Klimatologe

Die Geschwindigkeit der Änderungen ist auch für Klimaexperten wie Simon Scherrer noch immer überraschend. «Die Zunahmen sind wirklich massiv. Sie sind auch grösser, als die meisten Klimamodelle sie vorausgesagt haben. Allerdings hatten gewisse Klimamodelle verschiedene Prozesse noch nicht richtig abgebildet. Das wird jetzt nachgebessert. Aber es ist immer noch überraschend.»

Was ist bei den Prognosen schiefgelaufen?

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Der massive Temperaturanstieg in der Schweiz überrascht gar Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Warum wurde von weniger drastischen Szenarien ausgegangen? 

SRF News: Warum übertrifft die Realität die Prognosen der Klimawissenschaft?

SRF-Wissenschaftsredaktor Christian von Burg: Einerseits natürlich, weil die weltweiten Massnahmen zum Klimaschutz noch immer zu wenig greifen. Und dann auch, weil die regionalen Modelle der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bisher zu optimistisch waren. Diese Modelle haben die Abnahme der Aerosole zu wenig berücksichtigt, also die Feinstaubpartikel aus den Abgasen der Autos, der Industrie oder der Landwirtschaft. Diese winzigen Partikel sind dank diverser Massnahmen stetig zurückgegangen. Das ist sehr gut für unsere Gesundheit. Aber diese Aerosole haben immer auch einen Teil der Sonneneinstrahlung wieder ins All zurückgeworfen und so für eine gewisse Abkühlung gesorgt. Und das fällt jetzt weg. 

Wenn die Wissenschaft ihre Prognosen anpassen muss, heisst das für uns alle: Wir müssen uns auf eine neue Welt und neue Erfahrungen einstellen?

Ja, das ist so und das fällt uns schwerer, als wir erwarten. Denn wir gehen ja immer von dem aus, was wir schon erlebt haben. Wir müssen uns bewusst sein, wir erleben dieses neue Klima in der Schweiz mit jetzt plus 2.8 Grad erst seit kurzem. Das heisst, es sind auch mit der Klimaerwärmung Stand jetzt noch viel höhere Extremtemperaturen möglich, also plus 45 Grad in Paris zum Beispiel. 

Was bedeuten die neuen Erkenntnisse der Wissenschaft für die Schweizer Politik? 

Mein Eindruck ist, dass wir Menschen immer erst dann bereit sind, unsere Gewohnheiten zu ändern und zu handeln, wenn uns das Wasser bis zum Hals steht. Es gab zwar frühe und einfach verständliche Warnungen Anfang der 80er Jahre. Aber die Klimaveränderung kam für die meisten doch so schleichend, dass man einfach mal gewartet hat, was da allenfalls kommt. Allerspätestens jetzt wird wohl allen klar sein, wohin die Reise geht. Die beschlossenen Massnahmen reichen jedoch nicht aus, um den Treibhausgasausstoss bis 2050 auf Netto-Null zu senken. Es braucht ein energischeres Handeln, sonst ist das vom Volk beschlossene Ziel nicht zu erreichen.

Das Gespräch führte Daniel Hofer.

Rendez-vous, 22.04.2024, 12:30 Uhr;schn

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