Der Vorwurf: Professor Christoph Mörgeli und der langjährige Direktor des medizin-historischen Instituts der Universität Zürich, Beat Rüttimann, sollen mehr als ein Dutzend fragwürdige Doktortitel durchgewinkt haben – hauptsächlich für das Abschreiben von alten Texten.
Die Bestätigung: Die Rundschau hat mit mehreren ehemaligen Doktoranden von Mörgeli gesprochen. Einer von ihnen – ein Arzt – erzählt im Interview mit der «Rundschau», wie einfach er und weitere Doktoranden bei Christoph Mörgeli zum Doktortitel gekommen sind.
«Grösster Aufwand: Übersetzer suchen, der Text abschreibt»
Der Mediziner sagt vor laufender Kamera: «Doktor Mörgeli gab mir einen alten Text – ich suchte nur einen Übersetzer, der das Ganze abschreibt. Dafür gab es bei Christoph Mörgeli den Doktortitel.»
Der Arzt fürchtet Repressalien und redet deshalb anonym: «Professor Mörgeli gab mir in seinem Büro einen alten Text aus seinem Archiv am medizin-historischen Institut – mit der Aufforderung, den Text zu übersetzen. Das war meine Dissertation.»
Der Arzt gesteht: «Mein grösster Aufwand dabei war: Ich musste einen Übersetzer suchen, der den alten deutschen Text entziffern kann und ihn dann 1:1 abschreibt.» Der Doktorand hat mehrere tausend Franken für den Übersetzer bezahlt.
Harsche Reaktion auf Kritik
Zu den Vorwürfen sagte Christoph Mörgeli in der Sendung: «Diese Dissertationen sind ein wissenschaftlicher Umgang mit den reichen Beständen von Handschriften unseres Instituts, welches ich leitete.» Es sei wichtig, dass diese Schriften der Nachwelt übergeben werden können.
Mörgeli reagierte harsch auf die Vorwürfe und sieht sich im Fokus einer Kampagne von Leuten, welche ihn «als SVP-Politiker fertig machen wollen». Es seien auch im Nachhinein keine wissenschaftliche Gründe zu finden, die ihn sein Amt an der Uni Zürich gekostet hätten, so Mörgeli.
120 Seiten Dissertation – 100 Seiten abgeschrieben
Die Rundschau fand über ein Dutzend von insgesamt 60 Dissertationen unter Mörgelis wissenschaftlicher Leitung. Sie bestehen grösstenteils aus abgeschriebenen Texten.
SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli winkte also Doktorarbeiten durch, die den wissenschaftlichen Standards offenbar klar widersprechen. Teilweise verfügen die Dissertationen nicht einmal über ein Literaturverzeichnis. Eine wissenschaftliche Interpretation der historischen Texte findet nur auf einigen wenigen Seiten statt.
Eine dieser Dissertationen besteht aus 120 Seiten. Volle 100 Seiten bestehen aus einem übersetzten und danach abgeschriebenen Text – vom Altdeutsch ins moderne Deutsch.
Abschreibe-Dissertationen während 18 Jahren
Wissenschaftler Mörgeli betreute fast 20 Jahre lang solch wissenschaftlich zweifelhafte Dissertationen: Er empfahl von 1994 bis 2012 jeweils in den betreffenden Dissertations-Gutachten, Doktoranden den begehrten Doktortitel auszustellen. Unterschrieben für die Doktortitel haben zudem Mörgelis Chef am medizin-historischen Institut, Beat Rüttimann, sowie der jeweilige Dekan der medizinischen Fakultät an der Universität Zürich.
Plagiats-Expertin ist schockiert
Michelle Bergadaa forscht – im Auftrag der Universität Genf – wie Plagiate und falsche Doktortitel verhindert werden können. Die Wissenschaftsexpertin hat die Dissertationen für die «Rundschau» untersucht. Bergadaa: «Ich bin schockiert. Ich verstehe nicht, wie ein Professor und eine Universität solche Dissertationen durchgehen lassen können.»
Expertin fordert unabhängige Untersuchungskommission
Bergadaa fordert jetzt die Leitung der Universität Zürich unverzüglich auf, sämtliche von Professor Mörgeli und seinem Chef Beat Rüttimann vergebenen Doktortitel zu untersuchen. «Die Universität Zürich muss jede Dissertation untersuchen. Eine unabhängige Expertenkommission muss jede Arbeit überprüfen und allenfalls die Doktortitel entziehen.»
In Basel oder Bern kaum möglich
Die Verantwortlichen der Universtät Bern und Basel erklären in der «Rundschau», solche Abschreib-Dissertationen wären bei ihnen nicht möglich. Klar ist: Bei Geistes-Wissenschaftlern vergehen mitunter Jahre, bis sie den begehrten Titel erhalten. Bei Medizinern geht es in der Regel deutlich schneller. Dass aber eine blosse Übersetzung eines alten Textes ausreicht, um sich mit dem Doktortitel zu schmücken, ist eine neue Dimension.
Mörgelis langjähriger Wegbegleiter und Direktor des medizin-historischen Instituts, Beat Rüttimann, wollte nicht mit der «Rundschau» sprechen.