Der «Tagesschau» liegt ein Dokument vor, das einen Fall aus der Zürcher Justizvollzugsanstalt Pöschwies zeigt. Ein Gefängnisarzt stellt ihn Ende Juni an einer Konferenz vor. Der Arzt muss dem Insassen eine medizinisch notwendige Behandlung verweigern.
Laut dem Dokument leidet der 61-jährige Patient unter einer «verengten Harnröhre» und sollte daher «unbedingt operiert» werden. Es sei «nicht vorstellbar», dass dieser Zustand bis zum Strafende 2024 auszuhalten sei. Im Gegenteil: «Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird es längst vorher zu einer akuten Harnverhaltung kommen», so die Verfasser des Berichts. Doch das zuständige Sozialamt habe wiederholte Gesuche der Ärzte nach einer Kostenübernahme «allesamt abgelehnt».
Bei dem 61-jährigen Mann handelt es sich laut dem Dokument um einen «einstweiligen Kriminaltouristen». Deshalb hat er in der Schweiz weder ein Aufenthaltsrecht, noch einen Wohnsitz – und somit auch keine Krankenversicherung.
«Eine veritable Tragödie»
Der Fall sei «eine inhumane Situation – eine veritable Tragödie», sagt Bruno Gravier, Präsident der Konferenz Schweizerischer Gefängnisärzte: «Das verletzt klar fundamentale Prinzipien, welche die Schweiz anerkennt, die im Ärzte-Kodex stehen und die international gelten.»
Der Fall sei keineswegs ein Einzelfall, so Gravier. Viele Gefängnisärzte würden solche Situationen kennen. Denn in Schweizer Gefängnissen sässen rund 4900 ausländische Staatsangehörige – viele ohne Aufenthaltsrecht. «Wir schätzen, dass rund 2000 Personen nicht versichert sind», schätzt Gravier. Sie haben nur Anspruch auf Nothilfe.
Tatsächlich sei ein relativ grosser Teil der Insassen nicht krankenversichert, bestätigt auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG). Man habe das Problem erkannt, sagt Daniel Koch, Leiter Abteilung übertragbare Krankheiten: «Wir gehen das jetzt wirklich an und sehen, welche Lösungen sich da anbieten. Vielleicht braucht es eine neue bundesrätliche Verordnung.» Wichtig sei das auch aus epidemiologischer Sicht.
«Ablehnung ist gesetzeskonform»
Allerdings könnten die Kantone bereits etwas für Insassen tun, denen begründete Behandlungen versagt bleiben. Etwa in Genf oder der Waadt übernehmen die Kantone solche Kosten.
Der Kanton Zürich indes fühlt sich für den Fall des erkrankten 61-Jährigen nicht zuständig. Die Justiz- und die Sicherheitsdirektion teilt mit: «Die Ablehnung der Kostenübernahme durch die Sozialbehörden ist gesetzeskonform. Ein Arzt hat dabei natürlich einen anderen Fokus.»