Als der Nationalrat sich an die Umsetzung der Ausschaffungs-Initiative machte, erhielt er dafür keine guten Noten – nicht einmal von jenen, die selber an der Ausarbeitung beteiligt waren. So räumte FDP-Nationalrat Kurt Fluri ein, die Umsetzung sei «rechtstaatlich nicht haltbar». Dass der Nationalrat dennoch für die automatische Ausschaffung von kriminellen Ausländern stimmte, erklärt sich mit seiner Angst vor der Durchsetzungs-Initiative. Die SVP hielt diese als Pfand in der Hand, um den Nationalrat dazu zu bringen, eine radikale Umsetzung gutzuheissen.
Nun hat der Ständerat den Entscheid des Nationalrats korrigiert – und hat das Parlament damit ein Stück weit aus der Sackgasse hinausmanövriert, in die es sich gebracht hatte. Wie aber kommt es, dass der Ständerat so ganz anders entscheidet als die grosse Kammer?
«Das liegt einerseits an der Zusammensetzung», sagt Politgeograf Michael Hermann. So ist die SVP im Ständerat eine kleine Minderheitspartei, während sie im Nationalrat eine Macht sei. Dazu kommt, dass die Parteien im Ständerat weniger wichtig sind als im Nationalrat. «Die meisten Nationalräte verdanken ihre Wahl der Tatsache, dass sie auf einer Parteiliste stehen», sagt Hermann. Deshalb sei auch die Parteidisziplin in der grossen Kammer viel grösser.
Ratings üben Druck aus
Die Wahlen in den Ständerat sind hingegen Persönlichkeitswahlen. Wegen dem Mehrheitswahlrecht haben diejenigen Politiker die besten Wahlchancen, die sich zur Mitte hin orientieren. «Dazu kommt, dass der Ständerat gestandene Politiker versammelt, die von ihrer Partei unabhängiger sind», sagt Hermann. «Diese können sich auch einmal einen Entscheid erlauben, der im Volk vielleicht unpopulär ist.» Im Nationalrat sei dagegen der Druck, sich volksnah zu geben, grösser. Auch die Polit-Ratings, denen vor allem die Nationalräte ausgesetzt sind, spielten eine Rolle.
Nicht zuletzt habe auch die Grösse des Rats einen Einfluss auf die Politikkultur. «Im Ständerat mit seinen 46 Mitgliedern reden die Politiker wirklich miteinander», sagt Hermann. Ganz anders im Nationalrat: «Dort findet die Debatte eher für die Galerie statt und für die Zuschauer zuhause.» Oft ist der Saal deshalb halb leer, oder die Politiker verstecken sich hinter der Zeitung.
Taktik gegen Überzeugung
Hermann geht davon aus, dass nach der klaren Abstimmung im Ständerat – er stimmte mit 28 zu 3 Stimmen für Ausnahmen bei Härtefällen – eher der Nationalrat derjenige sein wird, der seinen Kurs ändert. «Im Nationalrat waren die Politiker hin- und hergerissen zwischen persönlicher Überzeugung und wahltaktischen Gründen.» Ohne die drohende Durchsetzungs-Initiative hätten viele FDP- und CVP-Politiker gleich entschieden wie heute der Ständerat, ist Hermann überzeugt.
Wenn sich aber der Ständerat von der Durchsetzung-Initiative nicht unter Druck setzen lässt, habe diese Taktik keinen Sinn mehr. In anderen Worten: Wenn der Ständerat auf einer Version beharrt, mit welcher die SVP nicht einverstanden ist, wird diese ihre Durchsetzungs-Intiative ohnehin vors Volk bringen. Das wiederum würde dem Nationalrat die Umkehr des früheren Entscheides erlauben. «Anders als die Ständeräte haben viele Nationalräte damals nur taktisch Ja gestimmt», sagt Hermann. «Es ist aber einfacher, die Taktik zu ändern als seine grundlegende persönliche Überzeugung.»
(buev)