Bald steht die Sanierung des 1980 eröffneten Gotthardtunnels an. Die Frage drängt, wie diese Strassenverbindung in dieser Zeit bestmöglich gewährleistet werden könnte, die von rund 60 Prozent aller alpenquerenden Fahrzeuge benutzt wird. Der Bundesrat will für 2,8 Milliarden Franken einen zweiten Strassentunnel bauen.
Damit aber Alpenschutz und Verlagerungsziel nicht zur Makulatur werden, sollen dereinst in beiden Tunnel in jede Richtung nur je eine Spur befahren werden. Dies soll auch die Sicherheit erhöhen. Weitere Sanierungen alle 30 bis 40 Jahre könnten ohne Vollsperrung durchgeführt werden.
Grosse Bedenken der Alpenschützer
Die Gegner der Vorlage im Ständerat – darunter SP, Grüne und Alpen-Initiative und sieben Kantone samt Uri – machten geltend, dass mit einem zweiten Tunnel die Verlagerungspolitik untergraben werde. Auch werde die physische Kapazität der Transitstrassen im Alpengebiet erhöht, was per Verfassung verboten sei. Sie gehen davon aus, dass zwangsläufig Forderungen aus dem Inland wie auch der EU nach einer vollständigen Öffnung der vorhandenen Fahrspuren kommen werden.
Die Gegner gehen davon aus, dass eine Sanierung gemäss Variante mit phasenweiser Vollsperrung und Sommeröffnung günstiger und der Verlagerungspolitik zuträglicher sei. Die Mittel könnten in den überlasteten Agglomerationen besser verwendet werden.
Stadler: «Schweiz mit zwei Röhren ist andere Schweiz»
Der grünliberale Urner Markus Stadler machte deutlich, dass die Sanierung zwar unbestritten, aber durchaus ohne Bau einer zweiten Röhre realisierbar sei. Es handle sich keineswegs um eine neutrale, bloss technische Vorlage, sondern um eine politische, welche die verfassungsmässige Verlagerungspolitik verändere: «Eine Schweiz mit einem einröhrigen Tunnel auf dieser Route ist eine andere als eine Schweiz mit zwei Röhren.» Das Urner Volk habe sich bisher fünfmal abschlägig zu einer weiteren Röhre geäussert.
«Für mich stellt eine zweite Röhre per se eine Kapazitätserweiterung dar», sagte auch der Baselbieter SP-Vertreter Claude Janiak. Ein solcher Bau laufe der Verlagerungspolitik der Kantone entgegen und stelle auch die Rentabilität der Neat in Frage.
Paul Rechsteiner (SP) kritisierte Verkehrsministerin Leuthard, dass sie die Vorlage weiter als Sanierungsvorlage verkaufe: «Zwei Strassentunnel sind das Doppelte von einem Strassentunnel.» Auch der geplante einspurige Betrieb ändere nichts daran, dass die Strassenkapazität im Alpenraum verdoppelt werde. Wenn der Alpenschutzartikel gebrochen werden soll, brauche es aber eine Verfassungsvorlage.
Tessiner Lombardi: «Lassen Sie uns nicht im Stich…»
«Lassen sie uns bitte heute nicht im Stich und unterbrechen sie nicht für drei Jahre die wichtige wirtschaftliche Verbindung mit verheerenden Folgen für das Tessin», appellierte der Tessiner Philippe Lombardi. Bei der brandbedingten Sperre des Tunnels im Jahr 2001 seien alleine für die Tessiner Industrie Schäden von 33 Millionen Franken entstanden – trotz Spätherbst und glücklicherweise für einmal wenig Schnee auf den Pässen.
Lombardi strich die Bedeutung der Verkehrsachse in einem geschichtlichen Abriss hervor. «Drehen wir das Rad nicht zurück, südlich der Alpen leben auch Menschen, möglicherweise Schweizer Bürger», sagte Lombardi.
Föhn: Gotthard als Verhandlungspfand
«Der Gotthard hat die Schweiz in die Pole-Position gebracht und ist weiterhin ein wichtiges Pfand», erklärte Peter Föhn (SVP/SZ). Der Entscheid sei deshalb zukunftsweisend und die Direktbetroffenen warteten auf eine klare politische Position. Die Nord-Süd-Verbindung mit der Versorgung der betroffenen Regionen müsse auch während einer Sanierung gewährleistet bleiben. Die vom Bundesrat geplante Sanierungsvariante nütze der ganzen Schweiz.
Georges Theiler (FDP/LU) betonte die Vorzüge einer Sanierung mit Ersatzröhre und die Nachteile einer Lösung mit dem Ausbau der Rollenden Landstrasse (Rola). Diese würde nach seinen Worten innert sechs Jahren eine Milliarde Franken kosten, die für nichts investiert würden.
Theiler zeigte sich überzeugt, dass die Vorlage verfassungskonform sei, da keine Kapazitätsausweitung stattfinde. Alle anderen Artikel des Alpenschutzes würden nicht angetastet. Alles andere müsse wohl das Schweizervolk kommender Generationen beurteilen.
Graber: Missverhältnis von Aufwand und Nutzen
Er wehre sich gegen eine Lösung, wo eingesetzte Mittel mit Zusatzkosten von zwei bis drei Milliarden Franken und Lösung in einem Missverhältnis stünden, sagte Konrad Graber (CVP7LU) und setzte sich für eine reine Sanierung ein. Auch der künftige Betrieb und Unterhalt von zwei Röhren koste wesentlich mehr als eine Röhre.
Es dürfe hier keinesfalls ein neuer Standard für die Sanierung von Strassentunnels gesetzt werden. Es drohe mit den neu geschaffenen Kapazitäten nicht zuletzt die Erpressbarkeit durch das Ausland und damit das Ende der Schweizer Verkehrspolitik. Ein zweiter Tunnel sei geradezu eine Einladung für Druckversuche.
Leuthard: Alles kompatibel
«Am Gotthard entbrennt die Diskussion über den Alpenschutz. Der Gotthard ist ein Symbol dafür, aber auch eine wichtige Handelsachse, die uns mit ganz Europa verbindet», stellte Verkehrsministerin Doris Leuthard fest. Bei anderen, ähnlich teuren Projekten wie etwa der dritten Belchen-Röhre werde weniger heiss diskutiert.
Befürchtungen einer Kapazitätsausweitung versuchte sie zu entkräften. «Selbst das Dosiersystem werde neu im Gesetz festgenagelt», sagte sie. Und weiter: «Wenn der Gesetzgeber etwas will, dann wird es beachtet.». Zur EU-Vereinbarkeit und Vereinbarkeit mit dem Landverkehrsabkommen betonte Leuthard, dass es keinerlei Druck gebe. Alles sei kompatibel. Dies habe sie sich von Brüssel schriftlich versichern lassen.
Der Ständerat beschloss nach der morgenfüllenden Debatte mit 25 gegen 16 Stimmen Eintreten. Über die Minderheitsanträge, die eine Rückweisung an den Bundesrat vorsehen, soll am kommenden Donnerstag entschieden werden.
Die Gegner der Vorlage haben bereits das Referendum angekündigt. Es wäre nach 1994 (Alpenschutz-Initiative) und 2004 (Gegenvorschlag zur Avanti-Initiative) das dritte Mal, dass das Schweizer Volk über eine zweite Strassenröhre entscheiden könnte.