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Betroffene bei einer Veranstaltung vor dem Bundeshaus im letzten Jahr.
Legende: Man war sich einig: Möglichst viele Geschädigte sollen noch zu Lebzeiten eine Wiedergutmachung erfahren. Keystone

Session Verdingkinder: Grünes Licht für finanzielle Entschädigung

Ehemalige Verdingkinder und andere Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen erhalten vom Bund einen Solidaritätsbeitrag von bis zu 25'000 Franken. Nach dem Nationalrat befürwortete auch der Ständerat den indirekten Gegenvorschlag des Bundesrates zur Wiedergutmachungsinitiative.

  • Darum geht es

Ehemalige Verdingkinder und andere Menschen, die vor 1981 Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen geworden sind, sollen vom Bund einen Solidaritätsbeitrag erhalten. Das fordert die Wiedergutmachungsinitiative, die Ende letzten Jahres eingereicht wurde. Der Bundesrat hat dieser Vorlage einen indirekten Gegenvorschlag gegenübergestellt. Beide Kammern sprachen sich für diesen aus.

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Im Gegensatz zur Initiative geht der Gegenvorschlag von einer geringeren Anzahl betroffener Personen aus – von 12'000 bis 15'000 statt von 20'000 wie die Initianten. Bei Entschädigungszahlungen von bis zu 25'000 Franken pro Person kommt der Bundesrat deshalb auf maximale Gesamtkosten von 300 Millionen Franken. Die vom Unternehmer Guido Fluri lancierte Initiative wollte 500 Millionen Franken bereitstellen.

Die Wiedergutmachungsinitiative will ebenso wie der indirekte Gegenvorschlag des Bundesrats eine unabhängige Kommission schaffen, die jeden Fall einzeln prüft.

  • Die Standpunkte

Eines der Hauptargumente für die Vorlage ist die Geschwindigkeit. Ein indirekter Gegenvorschlag auf Gesetzesstufe ermögliche es, die historischen Geschehnisse rascher als auf dem Weg über eine Verfassungsrevision aufzuarbeiten, war der Tenor. Möglichst viele Opfer sollen noch von der Wiedergutmachung profitieren können. Denn viele von ihnen seien hochbetagt und könnten nicht mehr warten.

Ein Nichteintretensantrag von Werner Hösli (SVP/GL), der es bevorzugt hätte, das Volk abstimmen zu lassen, fand keine Unterstützer. Selbst Fraktionskollegen wie Peter Föhn (SZ) stellten sich hinter den Gegenvorschlag. «Was ist mit dem Kindern, die zuhause geschlagen wurden?», gab Hösli zu bedenken.

Er gab damit seiner Befürchtung Ausdruck, einen Präzedenzfall für weitere nachträgliche Entschädigungen bei Verjährungen zu schaffen. Recht und Gerechtigkeit sei eben nicht dasselbe, wurde ihm entgegnet. Oder, wie es Paul Rechsteiner (SP/SG) auf Englisch ausdrückte: «Justice must be seen to be done» (um Gerechtigkeit herzustellen, muss man sie erkennen können).

  • Das Resultat

Nach dem Nationalrat hiess nun auch der Ständerat die Gesetzesvorlage des Bundesrates mit 36 zu 1 Stimme gut. Damit steht für die gemäss Schätzung des Bundesrates 12'000 bis 15'000 anspruchsberechtigten Opfer ein Zahlungsrahmen von 300 Millionen Franken zur Verfügung, die auf Gesuch hin ausbezahlt werden.

  • So geht es weiter

Wird der Entscheid des Ständerats in der Schlussabstimmung bestätigt, kann das Gesetz gemäss Aussage von Justizministerin Simonetta Sommaruga bereits am 1. April 2017 in Kraft treten. Danach könnten erste Zahlungen an die Opfer fliessen.

An der Ankündigung, die Wiedergutmachungsinitiative beim Ja zum Gegenvorschlag zurückzuziehen, hält das Komitee fest – im Interesse der teils hochbetagten Betroffenen, wie Hauptinitiant Fluri gegenüber SRF News bestätigt: «Sowohl die politischen Vertreter wie auch jene der Verdingkinder, der administrativ Versorgten, der Heim- und zwangsadoptierten Kinder erachten den Rückzug als richtigen Weg.»

Den Gegenvorschlag auszuschlagen, sei «gegenüber den Opfern, die seit Jahrzehnten auf eine Wiedergutmachung warten, verantwortungslos», so Fluri.

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