Mit ihrer Berichterstattung hat die «Sonntagszeitung» für Aufsehen, in den Reihen der Betroffenen aber allemal für Ärger gesorgt. 4500 Unfälle im vergangenen Jahr, so die Darstellung, seien allein auf «alte Autofahrer» zurückgegangen. Und: Die Zahl der Unfälle von Senioren habe seit 2011 im zweistelligen Prozentbereich zugelegt.
Für mehr Eigenverantwortung: der Schweizerische Seniorenrat
Nun hat die mediale Aufmerksamkeit – die einer Forderung nach verschärften Fahreignungskontrollen den Weg geebnet hat – die Schweizer Senioren aus der Reserve gelockt. Sie wehren sich. Und das nicht zu spontan, sondern indem sie sich auf die höchsten politischen Prinzipien berufen. So empfindet Karl Vögeli, Co-Präsident des Schweizerischen Seniorenrats (SSR), nicht etwa nur persönlich «einen gewissen Zorn». Er sieht durch die gezielte «Diskriminierung älterer Menschen» nichts weniger als die «Schweizer Verfassung angetastet».
Dass Senioren von Gesetzes wegen alle zwei Jahre beim Hausarzt zur Kontrolluntersuchung antreten müssen, erachtet der Seniorenrat zwar als richtig und wichtig. Doch betont dessen 72-jähriger Vertreter Vögeli nachdrücklich, dass «das Risiko nicht vom Alter, sondern von der Gesundheit eines Lenkers» abhänge. Auch ein 50-Jähriger stelle unter Umständen ein Risiko dar.
Und damit nicht genug: Alte und ältere Autofahrer könnten die Defizite, die sich aufgrund des Alterns einstellten, «weitgehend kompensieren». Zwar reagierten die Senioren laut Vögeli nicht mehr so schnell, dafür hätten sie gegenüber jüngeren Fahrern viel Erfahrung und Routine.
Ferner liesse sich gerade bei älteren Semestern auf Eigenverantwortung setzen. Nicht statistisch belegt, aber immerhin aufgrund seiner persönlichen Erfahrung, kann Vögeli angeben, «dass vier von fünf Senioren» eingestehen, wenn sie am Steuer nicht mehr zu Rande kommen.
Einen Blick auf die Zahlen mit der bfu
Alles Augenwischerei? Tatsächlich erfahren die Schweizer Senioren, die auf ihre Rechte pochen, implizite Unterstützung von der Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu): Verkehrspychologe Uwe Ewert räumt zwar ein, dass ältere Menschen tendenziell mehr Unfälle verursachen als jüngere. Doch seien die Zahlen, die in den Medien kursierten, mit Vorsicht zu geniessen.
Er streicht die grundsätzlich höhere Verletzlichkeit und Sterblichkeit älterer Personen heraus und betont: «Wenn man sagt, dass im vergangenen Jahr 43 Menschen wegen Senioren am Steuer ums Leben gekommen sind, dann sind 60 Prozent davon die älteren Personen selber.»
Ferner seien in der Zahl der Unfälle, welche Senioren verursacht haben, auch «polizeilich registrierte Unfälle enthalten, das heisst auch verhältnismässig leichte Unfälle mit Sachschäden wie Parkrempler». Die «Gefährdung anderer Personen», so Ewert, «ist viel geringer».
Für eine Überwachung natürlicher Alterungsprozesse: der Verkehrsmediziner
Dass die Zahl der durch ältere Menschen verursachten Unfälle einer genauen Betrachtung bedarf, ist auch die Meinung von Rolf Seeger, Abteilungsleiter am Institut für Verkehrsmedizin an der Universität Zürich. Allerdings ist ihm die Statistik Beleg dafür, dass von betagteren Autolenkern durchaus ein erhöhtes Risiko ausgeht. Statt der absoluten Zahlen schaut er die relativen Zahlen an – das heisst, er verrechnet die Unfälle mit den gefahrenen Kilometern – und kommt zu folgendem Schluss: Das Risiko, einen Unfall zu verursachen, ist «bei über 80-Jährigen so hoch wie bei 20- bis 24-Jährigen».
Die Selbstbeurteilung funktioniert bei Demenzkrankheiten nicht zuverlässig. Sie sind oft nicht fähig, ihre eigenen Defizite zu erkennen.
Seeger macht zwei Gründe dafür verantwortlich, dass nach einer «Talsohle um 50 Jahre herum», das Risiko, einen Unfall zu verursachen ab 70 wieder ansteige: «Gewisse Krankheiten, Demenzkrankheiten vor allem, sind im hohen Alter weit häufiger.» Das sei die erste Risikogruppe.
Sodann gäbe es die zweite Risikogruppe: die gesunden Hochbetagten, die über 80 sind. «Sie haben aufgrund des natürlichen Alterungsprozesses eine verlangsamte Wahrnehmung und eine längere Verarbeitungszeit von Zusammenhängen.»
Die erste Risikogruppe sei mit zehn Prozent der Betagten zwar relativ gering. Doch bestünde bei ihnen das Problem, dass die Selbstbeurteilung nicht funktioniere. «Sie sind oft nicht fähig», so Seeger, «ihre eigenen Defizite zu erkennen.» Insofern plädiert er für die Beibehaltung, nicht aber Verschärfung der Fahreignungskontrollen alle zwei Jahre. Darüber hinaus setzt er sich dafür ein, dass die Hausärzte – für eine Optimierung der bestehenden Massnahmen – «alle gleich geschult» werden.