Der Schweizerische Erdbebendienst der ETH Zürich registrierte um 5.30 Uhr ein Beben der Magnitude 3,6 in einer Tiefe von vier Kilometern bei St. Gallen. Gemäss den Angaben steht es wahrscheinlich in direktem Zusammenhang mit den Testbohrungen für das Geothermieprojekt im St. Galler Sittertobel.
Laut Stadtpräsident Thomas Scheitlin wurden die Behörden vom Erdbeben überrascht. Man habe die Lage aber im Griff.
Bohrloch wird stabilisiert
Die Bohrungen wurden nun vorläufig gestoppt. Wie es weiter geht, wollen die Verantwortlichen in den nächsten Tagen bekannt geben. Dafür wurde ein Krisenstab gegründet. Derzeit werden die Daten ausgewertet, sagte Scheitlin. Zudem wird das Bohrloch stabilisiert.
Die Bohrungen reichen bis in eine Tiefe von rund 4450 Meter. Aktuell wurde das Bohrloch zwischen 4000 und 4450 Meter Tiefe mit verdünnter Salzsäure von Bohr- und Gesteinsresten gereinigt.
«Mit weiteren Beben ist zu rechnen»
Bereits seit Mittwoch wurden rund 100 Mikrobeben gemessen. Die Erschütterungen in der Nacht auf Samstag hätten in Stärke und Anzahl deutlich zugenommen. Schadensmeldungen liegen bisher keine vor.
«Es ist anzunehmen, dass es weitere kleine Beben geben wird», sagte Stefan Wiemer. Ob ein Ereignis in der gleichen Grössenordnung in der nächsten Zeit noch einmal auftrete, könne noch nicht gesagt werden, so der Direktor des Erdbebendienstes der ETH Zürich.
Ambitioniertes Projekt: Erdwärme für die Hälfte der Stadt
Die Stadt St. Gallen hat für das Geothermie-Projekt einen 160-Millionen-Kredit aufgenommen. Die Kosten für die Tiefenbohrung und den Bau des Geothermie-Kraftwerks werden mit 80 Millionen veranschlagt. Die andere Hälfte ist für den Ausbau des Fernwärmenetzes vorgesehen.
Seit Anfang März wird gebohrt
Die Bohrarbeiten wurden Anfang März aufgenommen. Ist das Projekt erfolgreich, könnte mittelfristig die Hälfte der Stadt umweltfreundlich mit Erdwärme beheizt werden und das Kraftwerk zusätzlich Strom erzeugen.
Beben bei Geothermie nicht ungewöhnlich
Ob das Projekt auf das erhoffte Heisswasser in 4450 Metern Tiefe stösst, hätte sich in den nächsten Wochen zeigen sollen.
Kleinere Erdbeben sind bei Geothermie-Projekten nicht ungewöhnlich. In St. Gallen blieben spürbare Erschütterungen bislang aber aus.
Anders in Basel. Dort wurde ein Geothermieprojekt Ende 2009 wegen Erdbeben gestoppt. Durch die Erschütterungen gab es Sachschäden von rund 9 Millionen Franken. Weitere Schäden im mehrstelligen Millionenbereich waren damals erwartet worden.
Basel für Geothermie ungeeignet
Eine Risikoanalyse kam Ende 2009 zum Schluss, dass Basel als Standort für Geothermie schlichtweg ungeeignet ist. Die Studie hatte ergeben, dass mit stärkeren Beben zu rechnen sei.
St. Galler Variante sollte schonender sein
Die Projekte von Basel und St. Gallen unterscheiden sich jedoch: Wurde in Basel versucht, unter Hochdruck einen künstlichen Wasserkreislauf zu erzeugen, so kommt in St. Gallen die schonendere hydrothermale Methode zur Anwendung.
Dabei soll eine natürliche wasserführende Schicht angezapft werden. Das Heisswasser gelangt über das Bohrloch an die Erdoberfläche, wird dort genutzt und durch ein zweites Bohrloch wieder in die Tiefe zurückgepumpt.
Stadtpräsident: «Haben offen kommuniziert»
Die Unterschiede zu Basel wurden im Vorfeld des St. Galler Projekts immer wieder betont. «Man war 2009 noch davon ausgegangen, dass bei solchen hydrothermalen Projekten keine Erdbeben auftreten», sagt Stefan Wiemer vom Erdbebendienst. Seither habe man jedoch dazu gelernt und die nötigen Vorkehrungen getroffen.
Die Verantwortlichen betonen: Man habe nie behauptet, dass es keine Beben geben könne. «Wir haben der Bevölkerung sehr offen kommuniziert, dass wir ein Netz an Messgeräten auslegen», so Stadtpräsident Scheitlin. Damit habe man signalisiert, dass etwas entstehen könne.
In Unterhaching bei München steht eine mit St. Gallen vergleichbare Anlage. Sie liefert seit 2007 Heizwärme und seit 2009 auch Strom.