Die Schweiz ist eines von wenigen Ländern ohne absolutes Verbot von Sterbehilfe. Dies erlaubt Organisationen wie Exit oder Dignitas, lebensmüden Patienten eine tödliche Substanz zu vermitteln. Diese müssen die Betroffenen ohne fremde Hilfe einnehmen.
Abnahme war eine Zunahme
Bis 2008 schloss das Bundesamt für Statistik (BFS) solche «assistierten Suizide» von in der Schweiz wohnhaften Personen in seine Suizid-Statistik ein. So gingen 2008 von den 1313 erfassten Suiziden knapp 20 Prozent (253 Fälle) auf das Konto von Sterbehilfe-Organisationen.
Ab 2009 entschloss man sich, die Sterbehilfe-Suizide nicht mehr in der Suizid-Statistik aufzuführen. Christoph Junker vom Bereich Gesundheit beim BFS begründet dies wie folgt: «Diese Suizide werden aufgrund einer schwerwiegenden Grundkrankheit ausgeführt. Deshalb haben wir uns entschlossen, diese Fälle neu anhand der Grundkrankheit in der Todesursachenstatistik zu berücksichtigen.» Dieser Beschluss schlug sich 2009 in einem starken Rückgang von Suiziden in der offiziellen Statistik nieder.
Tatsächlich hatten aber sowohl die «assistierten Suizide» wie auch die anderen Selbsttötungen in der Schweiz im selben Jahr leicht zugenommen.
Schweiz im Mittelfeld
Ohne die Sterbehilfe-Suizide blieb die Zahl zwischen 2003 und 2009 ungefähr konstant, bevor sie 2010 um etwa 100 Fälle sank. Ob sich der positive Trend fortsetzt, bleibt abzuwarten: Die Zahlen für das Jahr 2011 gibt das BFS Anfang Juli bekannt.
Die jüngsten Zahlen bestätigen den langfristigen Trend: Nach einem Anstieg in den 1980er-Jahren sinkt die Zahl der Selbsttötungen in der Schweiz stetig.
Laut Anita Riecher-Rössler, Chefärztin an der Psychiatrischen Klinik der Uni Basel, hat die Entwicklung zwei Hauptgründe.
«Menschen mit psychischen Erkrankungen holen sich heute eher Hilfe», sagte die Medizinerin. Psychische Krankheiten seien kein Tabu mehr.
Den anderen Grund sieht Riecher-Rössler in der verbesserten Prävention. «Wir wissen, dass suizidale Handlungen eher im Affekt vorkommen, und wenn Mittel zum Suizid verfügbar sind, so wird er auch umgesetzt.» Deshalb werden heute gefährliche Medikamente in kleineren Verpackungen angeboten, einschlägige Brücken mit Netzen versehen und Autoabgase weniger giftig gemacht.
Auch in vielen anderen europäischen Ländern sank die Suizidrate. Im Vergleich befindet sich die Schweiz im Mittelfeld. Neben Litauen, das die Statistik mit 29,4 Suiziden pro 100'000 Einwohner anführt, liegen auch viele andere osteuropäische Länder sowie Finnland, Frankreich und Österreich noch vor der Schweiz.
Tiefere Suizidraten verzeichnen südeuropäische Länder sowie Norwegen, Irland, Grossbritannien und die Niederlande.
(fasc)