Das Kapital jedes Professors ist sein Wissen. Wissen, das er erarbeitet hat. Und das Potenzial des Wissens, das er durch Forschung noch erarbeiten wird. Dieses kann Leben retten, Gesellschaften verändern oder Wirtschaftszweige weiterbringen. Es ist ein Kapital, das viele Professoren auch neben der Universität zu nutzen wissen: als Berater, Stiftungsmitglied oder Forschungsleiter.
Schweizer Professorinnen und Professoren gehen teilweise Dutzenden von Nebentätigkeiten nach. An den meisten Universitäten sind diese erlaubt oder gar erwünscht, sofern sich der Aufwand in bestimmten Grenzen hält. Doch sie bergen auch Konfliktpotential.
Grosse Unterschiede zwischen Universitäten
SRF hat Informationen zu den Interessenbindungen der Professoren an allen universitären Hochschulen der Schweiz gesammelt – insgesamt rund 1300, welche die Professoren selbst deklariert haben. Die Daten zeigen ein Geflecht aus vielerlei Verbindungen zu Privatwirtschaft und Institutionen – sei es als Verwaltungsrat, als Stiftungsmitglied oder als CEO. Weil die Regelungen von Universität zu Universität unterschiedlich sind und nicht alle ihre Informationen zur Verfügung stellen wollten, sind hier Vergleiche mit Vorsicht zu geniessen. Die vorliegenden Daten zeigen aber klare Tendenzen:
- Professoren der ETH Lausanne (EPFL) sowie der Universität St.Gallen haben überdurchschnittlich viele Interessenbindungen
- Überdurchschnittlich viele Interessenbindungen sind auch in den Forschungsgebieten der Natur- und der Wirtschaftswissenschaften zu finden
- Am meisten Bindungen zu Professoren hat der Versicherungskonzern «Die Mobiliar» inklusive Genossenschaft und Holding (6) und die Pharmafirma Novartis und deren Stiftung (5).
Weil technische Hochschulen schon von der Anlage her praktischerer Natur sind als Universitäten, ist die hohe Quote von Mandaten bei der ETHZ und EPFL nachvollziehbar. Auch hängt die Anzahl Interessenbindungen vom Anstellungsverhältnis der einzelnen Professoren ab. Ist ein Professor nur zu 50 Prozent bei einer Universität angestellt, hat er naturgemäss mehr Zeit für Nebenbeschäftigungen als einer, der Vollzeit angestellt ist.
Und nicht zuletzt hängt diese Zahl von den einzelnen Reglementen der Universitäten ab. So haben die Universität St.Gallen oder die beiden ETH eher strikte Regeln und verlangen von ihren Professoren, dass sie auf ihrer Website sämtliche Bindungen offenlegen. Die Università della Svizzera italiana (USI) hingegen hat derart lasche Regeln, dass die Professoren nur Mandate angeben müssen, die mindestens einen Tag pro Woche in Anspruch nehmen. «Wir haben deshalb gar keine Interessenbindungen für Professoren verzeichnet», sagt USI-Sprecher Giovanni Zavaritt.
Brückenbauer zwischen Universität und Privatwirtschaft
Ein Beispiel: Prof. Dr. Thomas Szucs ist ein vielbeschäftigter Mann – er lehrt zu 50 Prozent an der medizinischen Fakultät der Universität Basel als Gesundheitsökonom. Gleichzeitig sitzt er im Aufsichtsrat des Biotech-Startups Biovertis und ist Mitglied im Spitalrat des Kantonsspitals Uri. Ausserdem ist er Verwaltungsratspräsident des grossen Schweizer Krankenversicherers Helsana.
Bei seinen Nebentätigkeiten verdient er wohl deutlich mehr als an der Universität. Beeinträchtigt das nicht seine Unabhängigkeit? «Überhaupt nicht», findet Szucs. «Ich finde solche Mandate sogar wichtig. Die Studenten haben einen Lehrkörper verdient, der nicht nur das Leben lang theoretisch am Schreibtisch verbracht hat.» Und falls es zu Interessenkonflikten irgendeiner Art käme, würde er einfach in den Ausstand treten.
Szucs war viele Jahre lang vollständig in der Privatwirtschaft tätig, bevor er an die Universität kam und sieht sich nun als Brückenbauer: «Ich will Verständnis für die Gegenseite aufbauen.»
Die Bioethikerin Samia Hurst von der Universität Genf sieht das kritischer: «Man weiss aus Studien, dass eine Beinflussung stattfinden kann, auch ohne, dass es dem Professor bewusst ist.» Sie fordert deshalb bessere Richtlinien an den Universitäten.
Warnung vor Reputationsverlust
In einer Untersuchung von 2009 schätzte die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK), dass jeder dritte Professor an einer grösseren Universität einer Nebentätigkeit nachgeht. Hauptmotivation: der «zu erwartende Nebenverdienst». Die Gefahr von Reputationsverlust durch Interessenkonflikte würde von den Universitäten unterschätzt, folgerte die EFK. Die daraufhin aufgestellten Empfehlungen hätten von den Universitäten bis 2012 umgesetzt werden sollen. Passiert ist bis heute wenig.
Mitarbeit: Anna Wepfer, Angelo Zehr.