Im letzten Herbst verurteilte das Urner Obergericht Ignaz Walker zu 15 Jahren Freiheitsentzug. Cabaret-Betreiber Walker soll einen Auftragskiller auf seine damalige Ehefrau angesetzt haben und elf Monate zuvor auf einen Gast geschossen haben. Doch Ignaz Walker beteuerte seine Unschuld. Seit vier Jahren sitzt er in Sicherheitshaft. Demnächst befasst sich das Bundesgericht mit seinem Fall.
Jetzt zeigen «Rundschau»-Recherchen: In mehreren Hierarchiestufen der Urner Polizei wurde bei den Ermittlungen gegen Walker geltendes Recht verletzt.
So verlangte der Beschuldigte bereits bei der ersten Polizeibefragung unmissverständlich, dass die Ermittlungen durch Polizisten durchgeführt werden sollen, die keine negativen Gefühle gegen ihn hätten.
Befangener Polizist ermittelt
Doch genau dies ist geschehen. Ausgerechnet Kriminalpolizist M. leitete die Spurenermittlungen gegen Walker – Polizist M., der wenige Monate zuvor persönlich mit Walker in ein Strafverfahren verwickelt gewesen war. Dies, weil M. zusammen mit Polizeikollegen bei einem privaten Besuch in Walkers Striptease-Bar alkoholisiert pöbelte.
Im Kanton Uri gibt es ein Gesetz, das regelt, wann ein Polizist in den Ausstand treten muss. Als Gründe nennt dieses «begründete Bedenken an der Unbefangenheit und Unparteilichkeit».
Diese Gründe seien bei einer solchen Konstellation klar gegeben, sagt Urs Winzenried, Direktor der Interkantonalen Polizeischule Hitzkirch. Er unterrichtet angehende Polizisten unter anderem zur Ausstandthematik: «Wenn ein Polizist in einem früheren Verfahren engen Kontakt mit einem Beschuldigten gehabt hat, beispielsweise im gleichen Strafverfahren gestanden ist, dann ist ganz klar, dann muss er in den Ausstand treten.»
Kompetenzüberschreitungen im Polizeikommando
Doch Polizist M. trat nicht in den Ausstand, er ermittelte weiter – und auch seine Vorgesetzten reagierten nicht korrekt, als sie durch die Einvernahmeprotokolle von den Ausstands-Streitigkeiten erfuhren. Kripo-Chef Ruedi Huber und Kommandant Reto Habermacher entschieden eigenmächtig, dass Kriminalpolizist M. weiter ermitteln soll. Damit verstiessen beide gegen das Gesetz. Das Gesetz sieht vor, dass in solchen Fällen die Aufsichtsbehörde informiert werden muss. Doch der damalige Sicherheitsdirektor Josef Dittli wusste davon nichts, wie er gegenüber der Rundschau bestätigte.
St. Galler Rechtsprofessor Benjamin Schindler kritisiert diese Vorgehensweise der Urner Kantonspolizei scharf. «In diesem Fall haben mehrere Stellen versagt», so der Professor für öffentliches Recht. «Zuerst der zuständige Kriminalpolizist, der nicht von sich aus in den Ausstand getreten ist, aber auch die Vorgesetzten. Sie hätten diese Frage der zuständigen Aufsichtsbehörde, also der Sicherheitsdirektion auf Ebene Regierung entscheiden lassen müssen.»
Administrativ-Untersuchung drängt sich auf
Für den Professor ist klar: «Wenn bei internen Abläufen der Polizei etwas nicht stimmt, sollte der Sicherheitsdirektor eine Administrativ-Untersuchung über die Kantonspolizei einleiten. Hier drängt sich nach meinem Kenntnisstand der Sachlage das auf.»
Die Urner Politik ist also gefordert. Tatsächlich hat die staatspolitische Kommission des Urner Parlaments bereits ein erstes Mal über den Fall beraten, aber noch keine Beschlüsse gefasst. Die Urner Parteien reagieren auf die neuen «Rundschau»-Recherchen unterschiedlich. Während CVP und SVP keinen Handlungsbedarf sehen und zuerst das Bundesgerichtsurteil abwarten möchten, fordert FDP-Vizefraktionspräsident Georg Simmen: «Die Polizei muss aus dieser Sache ihren Lehren ziehen.» Und Sebastian Züst, Geschäftsleitungsmitglied der SP Uri, verlangt eine lückenlose Untersuchung: «Wir fordern eine Administrativ-Untersuchung, um dies wirklich noch einmal genau zu durchleuchten.»
Regierungsrat und Kantonspolizei warten ab
SVP-Sicherheitsdirektor Beat Arnold will sich gegenüber der «Rundschau» nicht zur Kritik an der Urner Polizei äussern. Reto Habermacher, der Kommandant der Kantonspolizei Uri, ist überzeugt, korrekt gehandelt zu haben und rechtfertigt sich schriftlich: «Die Ausstandfragen wurden nach Massgabe der dannzumal gültigen Rechtsgrundlagen beurteilt.»