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Schweiz Verfassung nicht wichtiger als Menschenrechts-Konvention

Wenn das Parlament sich schwer tut, völkerrechtswidrige Volksinitiativen umzusetzen, folgt immer wieder der Vorwurf, der Volkswille werde missachtet. Vor allem die SVP fordert, die Verfassung müsse über der Menschenrechts-Konvention (EMRK) stehen. Eine Studie kommt nun zum Schluss: Das geht nicht.

Was geschieht, wenn Schweizer Landesrecht Völkerrecht bricht? Das zu untersuchen, haben mehrere Schweizer Menschenrechtsorganisationen dem Berner Völkerrechtsprofessor Walter Kälin in Auftrag gegeben. Und dieser kommt mit Blick auf die Europäische Menschenrechtskonvention EMRK zum Schluss: «Die Schweiz muss sich entscheiden. Entweder akzeptiert sie die EMRK und deren Vorrang, oder sie kündigt diesen Vertrag und scheidet aus dem Europarat aus. Einen Zwischenweg gibt es politisch nicht.»

Die Schweiz ist Mitglied des Europarats und verpflichtet sich damit dazu, die Europäische Menschenrechtskonvention und Urteile des Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassburg zu respektieren.

Deshalb gibt es für Kälin in der Frage, ob Landesrecht vor Völkerrecht steht, nur alles oder nichts. Die Idee, die Konvention zu künden und ihr unter einem Vorbehalt wieder beizutreten, hält er nicht für umsetzbar.

Keine Schonbehandlung für die Schweiz

Kälin hat analysiert, wie der Europarat mit Konflikten umgeht, wenn sich ein Land weigert, ein Urteil aus Strassburg umzusetzen. Der Europarat könne es sich gar nicht leisten, die Schweiz zu schonen, sagt Kälin: «Schlicht und einfach, weil in Ländern wie Russland aber auch in Grossbritannien heute die EMRK grundlegend in Frage gestellt wird. Und würde der Europarat hier nachgeben, könnte das ganze Menschenrechtssystem kollabieren. Das wird die Organe veranlassen, auch bei der Schweiz hart zu sein.»

Entsprechend rechnet er mit grossem politischen Druck auf die Schweiz, wenn die EMRK und Urteile des Gerichtshofs für Menschenrechte in Strassburg nicht mehr als verbindlich betrachtet würden.

Natürlich gebe es Staaten wie Frankreich oder Deutschland, die die EMRK unter der Verfassung einordnen. Doch im Gegensatz zur Schweiz kennen solche Staaten erstens die Verfassungsgerichtsbarkeit, die völkerrechtswidrige Gesetze korrigieren könne. Und zweitens gebe es dort keine Volksinitiativen, die Verfassungsgrundsätze festschreiben könnten.

Volkswille versus Menschenrechte

Seit mehreren Jahren gewinnen Volksinitiativen Mehrheiten, die Teilen der EMRK widersprechen – die Verwahrungsinitiative etwa oder die Ausschaffungsinitiative, vor der das Parlament im Frühling kapitulieren musste und keinen Weg fand, sie gemäss Volkswillen und Menschenrechten umzusetzen.

Audio
Völkerrecht ist nicht verhandelbar
aus Echo der Zeit vom 15.05.2014. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 4 Minuten 7 Sekunden.

Dick Marty – früher auch Parlamentsmitglied im Europarat und alt FDP-Ständerat – kritisiert diese Entwicklung: «Das ist eine neue Erscheinung. Man lanciert bewusst Initiativen, die gegen die Verfassung und gegen das internationale Recht sind. Dies sollte die Politik jetzt hinterfragen und man sollte Massnahmen treffen.» Konkret sollte das Parlament in Bern keine verfassungswidrige Initiativen zulassen.

Bei der SVP kommt die Studie nicht gut an. Sie spricht von einem linken Parteigutachten, das das ausländische Recht über das demokratische Schweizer Recht stellen wolle. Parteipräsident Toni Brunner sagt: «Am Schluss geht es um die einfache Frage, wer in der Schweiz das letzte Wort hat. Ist es der Souverän, und muss damit eine Verfassungsänderung auch umgesetzt werden oder sind es internationale Gerichte oder internationale Professoren, die völkerrechtliche Bestimmungen in die Welt setzen?»

Die SVP sieht sich durch die Studie bestärkt, sich gegen diese Tendenz allenfalls mit einer Volksinitiative zu wehren – Landesrecht müsse vor internationalem Recht stehen. Die Diskussionen gehen weiter.

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