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Schweiz Vom Leben und Leiden als Erntehelfer in der Schweiz

Erdbeeren, Kirschen, Aprikosen – die Auslage in den Supermärkten ist derzeit mehr als verlockend: Dass die Schweizer Früchte in den hiesigen Läden landen, haben wir grösstenteils ausländischen Erntehelfern zu verdanken. Ihre Erfahrungen sind höchst unterschiedlich.

Ungefähr 30'000 saisonale Arbeitskräfte verpflichten die Schweizer Bauernbetriebe jedes Jahr. Ein Grossteil dieser Erntehelfer kommt aus Osteuropa. Dass die Arbeit hart ist, wissen die Männer und Frauen. Doch ihnen gemeinsam ist die Hoffnung, hier in wenigen Wochen wesentlich mehr Geld zu verdienen als das in ihrem Heimatland möglich wäre.

So wie der Tscheche Milan, der vor 12 Jahren als Student durch die Schweiz reiste und seither jeden Sommer zu einem Bauern ins Wallis zurückkehrt. Der Anfang sei hart gewesen, sagt Milan. Für elf Franken pro Stunde habe er täglich zehn bis elf Stunden gearbeitet. Bei einem Ferienjob in Tschechien hätte er allerdings gerade mal zwei Franken stündlich bekommen. Seine Einsätze in der Schweiz ermöglichten ihm denn auch, im Winter seiner eigentlichen Leidenschaft – dem Eisklettern – zu frönen und diesen Sport professionell auszuüben.

«Kriegte 35 Franken Lohn pro Tag»

Ernüchternd klingt hingegen der Bericht von Irena, einer jungen Frau aus dem Osten Tschechiens. Sie und ihr Freund landeten vor wenigen Wochen bei einem Erdbeerbauern in der Nähe des Bodensees. Furchtbar sei es gewesen. Um halb 6 Uhr morgens seien sie jeweils auf dem Feld gestanden und dann gleich angeschrien worden. Nach einer knappen Woche brachen beide den Einsatz ab. Für die vier Arbeitstage erhielt das Paar insgesamt 280 Franken ausbezahlt. Pro Person und Tag sind das gerade mal 35 Franken – wesentlich weniger als vereinbart. Als sie sich wehrten, habe der Landwirt mit seinem Anwalt gedroht.

Wenn jemand zu den Bedingungen nicht arbeiten will, steht morgen jemand anderer da und nimmt die Stelle mit Handkuss
Autor: Milan Erntehelfer aus Tschechien

Auch Milan weiss von ähnlichen Fällen. Doch: «Wenn jemand zu den Bedingungen nicht arbeiten will, steht morgen jemand anderer da und nimmt die Stelle mit Handkuss», sagt er.

Eine Anlaufstelle für unzufriedene Erntehelfer ist die ABLA, die Dachorganisation der Berufsverbände der landwirtschaftlichen Angestellten. Laut Geschäftsführerin Mara Simonetta gibt es in fünf bis zehn Prozent der Arbeitsverhältnisse Probleme. Grosses Thema sei die Entlöhnung. 3200 Franken beträgt der Richtlohn für saisonale Arbeitskräfte monatlich. Nicht immer werde dieser Betrag ausbezahlt – oder dann nur widerwillig. «Dabei sind 3200 Franken wirklich nicht hoch. Für dieses Geld arbeitet niemand von uns», sagt Simonetta. Dass der Umgangston in manchen Betrieben mehr als ruppig ist, kann auch sie bestätigen: «Die Arbeiter werden von gewissen schwarzen Schafen wie Menschen zweiter Klasse behandelt.»

«Es entstehen langjährige Freundschaften»

Anders sieht dies Monika Schatzmann, Leiterin von Agrimpuls. Dieser Geschäftsbereich des Bauernverbandes vermittelt den hiesigen Landwirtschaftsbetrieben ausländische Arbeitskräfte. Die Erfahrungen fielen grösstenteils für beide Seiten positiv aus, das ergebe sich auch aus den Rückmeldungen. «Wir sind uns aber bewusst, dass der Lohn tief ist und die Arbeitsstunden lang sind in der Landwirtschaft.» Aufgrund der aktuellen Marktlage sei es jedoch unrealistisch, dass es in unmittelbarer Zukunft wesentliche Änderungen geben werde.

Nichtsdestotrotz entstünden zwischen den Betrieben und den Arbeitern immer wieder langjährige freundschaftliche Beziehungen. So lade man sich etwa gegenseitig zu Hochzeiten und anderen Familienfesten ein.

Der Fall von Milan zeigt das exemplarisch. Als er vergangenes Jahr bei den tschechischen Eiskletter-Meisterschaften auf dem Siegertreppchen stand, wehte auf seinen Wunsch hin neben der tschechischen noch eine zweite Fahne: Die des Kantons Wallis.

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