Medikamententests, wie sie die Psychiatrische Klinik Münsterlingen im Kanton Thurgau jahrzehntelang an Patientinnen und Patienten durchgeführt habe, seien heute nicht mehr möglich, sagt Sara Käch von Interpharma, dem Verband der Pharmafirmen: «Wir haben heute ganz andere ethische und rechtliche Standards, als das noch vor vierzig, fünfzig Jahren der Fall war». Heute gelte: «Es gibt keine Medikamentenstudie und keine klinische Forschung ohne, dass die Patienten ihre Einwilligung dazu gegeben haben.»
Tatsächlich hat sich viel verändert: Im Heilmittelgesetz sind Sorgfaltspflichten für das medizinische Personal verankert. Zudem hat das Humanforschungsgesetz, das seit drei Jahren in Kraft ist, die Transparenz in der klinischen Forschung eingeführt. Schliesslich wurden auch kantonale Ethikkommissionen eingerichtet, die klinische Studien unter die Lupe nehmen. Es gibt inzwischen also ein dichtes Regulierungsnetz.
Swissmedic: «Sehr unwahrscheinlich»
Swissmedic ist eine der involvierten Behörden; sie ist für die Zulassung und Aufsicht über Heilmittel in der Schweiz zuständig. Mit Verweis auf die neue Gesetzgebung sagt Swissmedic-Sprecher Lukas Jaggi: «Klinische Versuche mit so vielen Beteiligten über eine so lange Zeit und mit derart vielen getesteten Substanzen: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass so etwas heute noch ausserhalb der Kontrollen stattfinden kann.» Ausserdem prüfe Swissmedic mit Inspektionen, ob die Vorgaben eingehalten würden.
«Im kleinen Einzelfall kann man aber nie hundertprozentig sicher sein», räumt Jaggi ein. Solche Einzelfälle gibt es tatsächlich, und einige sind auch dokumentiert – etwa beim Patientenschutz. Allerdings handelt es sich nicht um grosse klinische Studien. Es geht um einzelne Ärzte, die ihre Patienten nicht nach dem medizinischen Standard behandeln, sondern mit Substanzen experimentieren und sozusagen wilde Studien durchführen.
Auslagerung fragwürdiger Tests?
Seit dem Fall Münsterlingen hat sich nicht nur die Gesetzgebung verändert. Die Schweizer Pharmaindustrie führt Tests zur Entwicklung neuer Medikamente heutzutage in rund einem Drittel der Fälle in Entwicklungs- und Schwellenländern durch.
Patrick Durisch von der Erklärung von Bern hat sich damit befasst: «Es gibt dort viele Patienten, die keinen regulären Zugang zu Medikamenten haben. Sie sehen das als Gelegenheit, um an eine freie Behandlung zu kommen.» Ausserdem seien Tests in solchen Ländern billiger, und es gebe weniger Kontrollen.
Pharma beharrt auf Einhaltung der Standards
Die Pharma ist mit dieser Sicht der Dinge nicht einverstanden. Um Geld gehe es nicht, sagt Sara Käch von Interpharma. In diesen Ländern gebe es Krankheiten, die bei uns gar nicht vorkämen. Man wolle eine möglichst breite Gruppe von Patienten und Patientinnen – auch mit ihren genetischen Unterschieden – einbeziehen.
Und die Pharmafirmen hielten sich an die existierenden weltweiten Standards und an die nationalen behördlichen Vorschriften, so Käch: «Die Firmen stellen auch über interne Audits sicher, dass ihre Standards bei klinischen Studien in den verschiedenen Ländern eingehalten werden.»
Das Hintertürchen für die Pharma
Wer überprüft das? Da kommt wieder Swissmedic ins Spiel. Spätestens beim Antrag auf eine Zulassung würden die Studien genau angeschaut, sagt Sprecher Jaggi: «Zum Beispiel wird überprüft, ob der Studienaufbau ethischen Aspekten oder dem aktuellen Stand der Wissenschaft entspricht.» Weiter werde geprüft, ob alle Studienteilnehmer im Vorfeld über allfällige Risiken aufgeklärt worden seien und ihr schriftliches Einverständnis gegeben hätten. Das gelte, so Jaggi, auch für Studien im Ausland.
Aber Swissmedic ist nur für Medikamente, die in der Schweiz zur Zulassung eingereicht werden zuständig. Testeten Schweizer Pharmafirmen ihre Produkte im Ausland und reichten die Zulassung dort ein, habe die Swissmedic weder die Aufsicht noch eine Handhabe.