In der Schweiz gibt es viele verschiedene muslimische Verbände. Von ihnen wird oft gefordert, sie sollten sich explizit von den Gräueltaten des «Islamischen Staates» IS im Irak und in Syrien abgrenzen. Auch die Schweizer Bischöfe haben an die muslimische Gemeinschaft appelliert. Die SRF-Sendung «Echo der Zeit» hat nachgefragt. Bei den muslimischen Verbänden in der Schweiz wird der IS-Terror verurteilt.
«Wir distanzieren uns von allen Gewaltformen, die vom IS kommen. Das ist ähnlich wie die Kreuzzüge, wo behauptet wurde, dass alles im Namen des Christentums geschah. Das ist ein Missbrauch der Religion für die Politik», sagt etwa Mahmoud El Guindi, der Präsident der Vereinigung der islamischen Organisationen in Zürich, VIOZ.
Muslime gehen «ihrem normalen Leben nach»
Alle Menschen müssten gegen Terror einstehen, sagt El Guindi. Er habe Mühe damit, wenn man ausdrücklich von den Schweizer Muslimen Aktionen oder Demonstrationen verlange: «Wenn die Muslime sich dauernd von Sachen distanzieren, mit welchen sie ja gar nichts zu tun haben, dann bekommen die Mitbürger hier den Eindruck, wir seien nur Problemfälle. Und das ist auch nicht die Idee. Die Mehrheit der Menschen gehen ihrem normalen Leben hier nach – das ist eine Sache, die man wie alle anderen in der Zeitung liest.»
Ähnlich klingt es im Gespräch mit dem Präsidenten des Verbands Aargauer Muslime. Halit Duran denkt zwar über eine öffentliche Aktion gegen die Gewalt nach. Und doch zögert er: «Weil die Gefahr besteht, dass dadurch Gewalttaten im Ausland mit Muslimen in der Schweiz in Verbindung gebracht werden.»
Imame wichtiger als Demonstrationen
An dieser Zurückhaltung hat hingegen der Berner Imam Mustafa Memeti keine Freude. Die Bischöfe hätten Recht, wenn sie ein deutlicheres Engagement erwarteten, sagt er: «Ich persönlich begrüsse den Aufruf. Wir sind in dieser Richtung im Moment ein bisschen passiv.» Wichtiger als Demonstrationen seien aber die Imame: «Beim Freitagsgebet sollten sie Extremismus, Radikalismus und Fanatismus immer erwähnen.»
Memeti ist auch Gefängnis-Seelsorger und Präsident des islamisch-albanischen Dachverbands der Schweiz. Vor allem schlecht integrierte junge Männer der zweiten und dritten Einwanderer-Generation würden auf extremistische Ideen ansprechen, sagt er. «Es gibt solche Tendenzen. Viele Eltern sind nicht einverstanden mit neuen Richtungen, die die Kinder gewählt haben. Es gibt solche Sorgen.»
Radikalisierung vor allem über das Internet
In den letzten Jahren soll der Schweizer Nachrichtendienst rund 200 Menschen aufgespürt haben, die im Internet die Nähe zu Islamisten suchten. Etwa 15 Männer sollen gar nach Syrien in den Krieg gezogen sein. Gegen vier von ihnen laufen Ermittlungen, sagte Bundesanwalt Michael Lauber der «Sonntagszeitung». Nach Syrien aufgebrochen ist zum Beispiel ein junger Kosovare aus dem aargauischen Brugg. Inzwischen sitzt er in türkischer Haft.
Duran, der Präsident des Verbands Aargauer Muslime, kennt dessen Geschichte nur aus den Medien: «Das sind Personen, die meistens nicht in islamischen Vereinigungen anzutreffen sind, sondern die sich über das Internet radikalisieren. Und dadurch haben wir auch leider sehr wenig Möglichkeiten, da Einfluss zu nehmen.»
Nur 50'000 von 400'000 Muslimen praktizieren Glauben
Der Berner Imam Memeti aber sieht das anders. Die Schweizer Muslime könnten mehr gegen Extremismus tun, glaubt er. «Alle progressiven Imame und die Vereine von verantwortlichen Menschen müssen zusammenkommen und ein gemeinsames Projekt finden: Wie können wir zum Beispiel unsere zweite und dritte Generation von solchen negativen Phänomenen fernhalten? Denn das schadet unserer Zukunft.»
Doch bis heute tauschen sich albanische, bosnische, türkische oder arabische Moschee-Vereinigungen wenig aus. Ihr Einfluss ist beschränkt. Und ohnehin praktizieren von den gegen 400‘000 Muslimen in der Schweiz nur rund 50‘000 überhaupt ihren Glauben. Die muslimische Stimme in der Schweiz gibt es nicht.