Die wachsende Bedrohung durch Al-Kaida und den sogenannten Islamischen Staat war Thema des Vortrags, den Prem Mahadevan am Montag, dem 21. März im Hauptquartier der Nato in Brüssel gehalten hat. Nur wenige Stunden später sollte sich herausstellen, wie aktuell das Thema ist.
Am nächsten Tag befand sich Mahadevan in einer Diskussionsrunde mit ranghohen EU-Diplomaten, als diese plötzlich begannen, nervös auf ihren iPhones und iPads herumzutippen: «Einer von ihnen sagte, am Flughafen habe es mehrere Explosionen gegeben.» Später starben weitere Menschen bei einem Selbstmordanschlag auf eine U-Bahnstation mitten im Regierungsviertel der EU in Brüssel.
Mehr Überwachung – mehr Integration?
Wie schon nach früheren Anschlägen in Europa waren die Reaktionen und Kommentare auf die Anschläge zweigeteilt: Die einen fordern mehr Sicherheit, mehr Überwachung, mehr Kontrolle. Die anderen weisen auf die Ausgrenzung muslimischer Gemeinschaften hin, fordern mehr Integration, mehr Zukunftschancen, mehr Prävention.
Allerdings: «Für Prävention und Massnahmen an der Wurzel ist es schlicht zu spät. Wir müssen jetzt in den Brandbekämpfungs-Modus», ist der Antiterror-Experte überzeugt. In gewissen europäischen Ländern wie Belgien oder Frankreich habe man schon seit den 90er-Jahren eine radikalisierte Bevölkerungsschicht. Deshalb gelte es jetzt nicht mehr, Feuer zu verhindern, sondern es zu bekämpfen.
Eifersucht und Rivalität ausnutzen
Basierend auf dieser Logik, kommt Mahadevan zu einer unorthodoxen, gar provokativen Schlussfolgerung: Es sei ein fataler Fehler, wenn westliche Regierungen sich zu stark darauf fokussierten, die Radikalisierung von Muslimen zu verhindern. «Wissenschaftliche Studien zeigten schon vor zehn Jahren, dass Terroristen bis zu 90 Prozent ihrer Komplizen innerhalb ihrer Familie und ihres engsten Freundeskreises rekrutieren.» Deshalb sei klassische Geheimdienst-Arbeit so gut wie unmöglich. Es gelinge kaum je, einen Spitzel in ein solch geschlossenes Netzwerk einzuschleusen.
Vielmehr müsse man auf den Faktor Rache setzen: Innerhalb von Terrorgruppen und -organisationen komme es häufig zu Spannungen. Gründe seien Eifersucht und Rivalität, oftmals ausgelöst durch so simple Dinge wie eine Vorliebe für dieselbe Frau. Entsprechend könnten die Geheimdienste dort ansetzen, wenn Terroristen anfangen, sich gegenseitig zu betrügen. «In dieser Situation können die Geheimdienste die Terroristen gegeneinander ausspielen», so Mahadevan.
Kontraproduktive Deradikalisierung?
Frustrierte und desillusionierte Terroristen seien die wertvollsten Informationsquellen überhaupt. Oftmals würden sie sogar von selbst mit einer Botschaft oder einem Geheimdienst in Kontakt treten, sagt der ETH-Forscher. Wer sich also darauf fokussiere, potentielle Terroristen zu deradikalisieren, tue den terroristischen Organisationen einen Gefallen, so seine steile These. Denn: «So nehmen wir ihnen die Rekrutierungsarbeit ab.»
Mit ihren Deradikalisierungs-Bemühungen würden westlichen Regierungen quasi sicherstellen, dass nur die ganz Überzeugten, hoch Motivierten – die, welche schliesslich nicht deradikalisiert werden können – zu Terroristen würden. Und das sei extrem gefährlich: Denn dass diese «Top 0,001 Prozent» zu Verrätern würden und Geheimdienste mit Informationen versorgen, sei extrem unwahrscheinlich.
Deradikalisierung sei also ein Schuss ins eigene Bein, so der etwas zynische Schluss Mahadevans. Das ist kein Problem für den Antiterror-Experten, denn es sei völlig klar: «Geheimdienst-Arbeit ist nun mal ein total zynisches Business.»