politbox: Warum ist es als Konsumentin bei Kleidern schwieriger als beim Essen, verantwortungsvoll zu handeln?
Oliver Classen: Kleider sind sehr komplexe Waren. Das Zeug wächst auf den Baumwollfeldern, geht in die Spinnereien, von dort in die Gerbereien, dann in die Zuschneidereien, dann erst auf den Nähtisch der Näherinnen und Näher. Irgendwann kommt es dann zu uns.
Was ist eure Aufgabe: Macht ihr im Rahmen der «Clean Clothes Campaign» Verträge mit Firmen?
Wir sind eher ein «Watchdog», der bissig wird und bellt (…). Wir sind keine Label-Organisation, wie ein Fairtrade- oder Bio-Label. Wir schauen auf die Firmenpolitik von Firmen, ob sie Existenzlöhne zahlen (…), wie ihre Wertschöpfungskette aussieht, ob diese transparent ist.
Und hören die Firmen auf den bellenden «Watchdog»?
Schon, ja. In Bangladesh ist vor zwei Jahren eine Fabrik kollabiert, mit 1200 Toten. Das war einer der grössten Industrieunfälle in der Geschichte. Da mussten natürlich die Politik und die Firmen hellhörig werden (…). Wir haben schon einen gewissen Hebel, aber der Hebel liegt eigentlich bei euch.
Die günstigeren Modeketten boomen, vor allem bei jüngeren Leuten. Sind teurere Kleider verantwortungsvoller produziert?
Überhaupt nicht. Das kann man gleich vergessen. Wir haben 2013 eine Umfrage gemacht, die gibt es auch als App zur Orientierung (…). Wir haben herausgefunden, dass beispielsweise Gucci betreffend Existenzlöhnen und Sicherheit am Arbeitsplatz genauso mies abschneidet wie Chicoree.
Innerhalb der grossen Ketten gibt es minime Unterschiede (…). Normalerweise verdienen die Leute fürs Nähen rund 0,5 Prozent des Endpreises. Nähen ist Handarbeit! Der Grund, warum das in Südostasien gemacht wird, ist, dass es aufwändig ist. Man müsste hier mal jemanden hinsetzen, um eine halbe Stunde lang ein T-Shirt zusammenzunähen. Erstens könnte das niemand mehr. Und zweitens würde das exorbitante Summen kosten.
Wenn man ein T-Shirt «made in Turkey» – also in Europa – sieht, geht man davon aus, dass es sicher nicht ganz so schlimm wie Bangladesch produziert wurde.
Das ist leider nicht so (…). Im Gegenteil: Vor allem in Osteuropa und auf dem Balkan wird zu ähnlich skandalösen Bedingungen gefertigt wie in Südostasien. Das muss man sich als Wanderzirkus vorstellen: Wenn die Firmen irgendwo nicht mehr von staatlicher Seite attraktive Konditionen in Sachen Lohn- und Steuerpolitik haben, dann gehen sie einfach ein Haus weiter. Inzwischen kommen sie wieder von Bangladesch zurück nach Europa.
Siehst du, wenn du ein T-Shirt anschaust, unter welchen Bedingungen es produziert wurde?
Man sieht dem gar nichts an. Wir müssen nicht nur das «Made in» wissen. Was uns interessiert, ist das «Made by» (dt.: nicht wo, sondern von wem gemacht). Die Frage ist, ob man das auf den Betrieb rückverfolgen kann. Das geht mit einem Code am Kleidungsstück. Die Rückverfolgbarkeit, wie sich das manche Hersteller nun auf die Fahne geschrieben haben, ist machbar, man muss da aber etwas Geld investieren.
Das Blöde ist: Die Firmen informieren dich nicht, du musst dich selber informieren. Das ist die grosse Krux. Wäre das anders, hätten wir viel mehr Leute auf Konsumentenseite, die sich viel mehr achten würden.
Das Problem ist, das «fast fashion» ein Geschäftsmodell ist – das Prinzip der schnell wechselnden Kollektionen und damit dem immer grösser werdenen Druck auf die Produzenten. Das ist eine Logik, die dazu geführt hat, dass man das Ganze in Billigproduktionsländer ausgelagert hat. Da können die jugendlichen Konsumenten nichts dafür. Aber das zu verstehen ist der Anfang für ein Problembewusstsein.
Was kann ich persönlich tun, wenn ich Lust auf ein paar schöne, neue Herbstsachen habe?
Hoffentlich hast du Lust darauf! Denn Boykott ist keine Option. Wir nennen das Cut-and-Run: Wenn man Firmen zu fest auf die Finger schaut, gehen sie ein Land weiter, das ist keine Option. Eine Option ist es, aus diesem Bewusstsein heraus nachzufragen: Im Laden, mit Eltern, mit Freunden, in der Klasse; was das eigentlich soll und wie man sich verhalten könnte.
Verhalten heisst: Brauche ich etwas Neues? Wenn ja, kann ich das nicht auch im Second-Hand-Laden kaufen? Kann ich die alten Sachen nicht flicken? Gibt es andere Quellen? Und sonst gehe ich halt shoppen, aber wohin gehe ich shoppen? Sich ein bisschen schlauer machen, das ist der Weg – und das ist nicht so mühsam wie es klingt.