Seit Dezember 2014 ist um die Zukunft der Sika ein Streit entbrannt. Dass die Fehde – bis hin zur heutigen ausserordentlichen Generalversammlung – immer wieder neue Kapitel schreibt, hängt mit der Struktur des Konzerns zusammen:
Die Sika ist eine Aktiengesellschaft. Doch weil die Sika-Namensaktien der Gründerfamilie sechs Mal so viel Stimmkraft wie die Inhaberaktien aufweisen, kommt der Familie die Kontrollmehrheit zu. Daran stossen sich, zumal ein Zielkonflikt vorherrscht, die meisten Verwaltungsräte, die Führungsriege und die übrigen Aktionäre. Für all diejenigen, die im Gerangel um die Sika den Faden verloren haben, sind hier noch einmal die Grundmomente erörtert.
Die Akteure
Die Familie Burkard, als Erben des Gründers: Um Urs Burkard herum hält sie 16 Prozent des Aktienkapitals und verfügt über 52 Prozent der Stimmrechtsanteile. Sie wird von der Schenker-Winkler-Holding (SWH) vertreten. Im Dezember 2014 hat die Familie erstmals bekannt gegeben, dass sie ihre Anteile an den französischen Industriekonzern Saint Gobain verkaufen wolle. Als Gegenwert würde sie 2,75 Milliarden Franken erhalten. Die übrigen Aktionäre gehen bei der Transaktion leer aus, zumal ihnen keine Übernahmeofferte gemacht wird.
Die Sika: Sie wird vertreten durch verschiedene Verwaltungsräte und Führungspersonen – darunter die Verwaltungsräte Paul Hälg (der VR-Präsident), Daniel Sauter und Monika Ribar, der amtierende CEO Jan Jenisch und der ehemalige Konzernchef Walter Grüebler. Die Sika will die Transaktion an den französischen Konzern verhindern. Namentlich Paul Hälg und Jan Jenisch haben mit Rücktritt gedroht, sollte die Firma an Saint Gobain veräussert werden.
Die Publikumsaktionäre: Sie werden – im sich zuspitzenden Konflikt – mobilisiert durch verschiedene Anlagestiftungen und Aktionärsberater. Eine prominente Stimme finden sie in den Aktionären Bill und Melinda Gates, die über eine Beteiligungsgesellschaft und eine Stiftung 3 Prozent der Sika-Stimmrechte halten.
Die Behörden und Gerichte: Beide Streitparteien – die Sika und die Familie – nehmen sie immer wieder für Klagen und Berufungen in Anspruch. Der Fall Sika beschäftigte bisher die Finma, die Europäische Kommission, das Zuger Kantonsgericht, das Zuger Obergericht und das Bundesverwaltungsgericht.
Die Kernstreitpunkte
Die Opting-Out-Klausel: Die Klausel entbindet den Käufer eines kotierten Unternehmens von der Pflicht, allen Teilhabern ein Kaufangebot für deren Anteilscheine zu unterbreiten. Sie ermöglicht also, dass die Kontrolle einer Firma an den Käufer eines dominierenden Anteils von Beteiligungspapieren übergeht – ohne dass die übrigen Besitzer miteinbezogen werden müssten. Die Opting-Out-Klausel steht in den Statuten von Sika. Ihre Gültigkeit wird indes vom Ehepaar Gates angefochten.
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Die Stimmrechtsbeschränkung. Sie ist in der letzten ordentlichen Generalversammlung vom 14. April angewendete worden. Vorausgegangen war die Annahme der Sika-Verwaltungsräte, dass die SWH und Saint Gobain bereits eine Gruppe bildeten. Um ein vorschnelles «Dreinreden» der französischen Firma zu vermeiden, beriefen sich die Verwaltungsräte auf die Vinkulierungsklausel und konnten so den Stimmenanteil der SWH auf 5 Prozent beschränken. Indessen hat die Finma die Idee einer Gruppenbildung verneint.
Ob die Anwendung dieser Stimmrechtsbeschränkung rechtens war – Fachleuten zufolge wirkte sie willkürlich –, prüft derzeit das Zuger Kantonsgericht. Ein Begehren der Familie Burkard, die Frage des Stimmrechts sofort zu klären, ist am Zuger Obergericht zweitinstanzlich abgeblitzt. Mit der Begründung, dass eine vorschnelle Aufhebung der Stimmrechtsbeschränkung der umstrittenen Transaktion den Weg bereitete und nicht mehr umkehrbar wäre.
Die Besetzung des Verwaltungsrats: An der ordentlichen Generalversammlung (GV) vom 14. April ist es der SWH nicht gelungen, die ihnen kritisch gegenüberstehenden Verwaltungsräte abzusetzen und Max Roesle zum neuen Präsidenten zu ernennen. Stattdessen wurden die amtierenden Verwaltungsräte in ihrem Amt bestätigt. Grund war die Stimmrechtsbeschränkung, welche die übrigen Verwaltungsräte in Anschlag brachten. Die Besetzung des VR ist zentral. Gelingt es der Familie nicht, diesen mit «ihren Leuten» zu besetzen, wird der Verkauf an Saint Gobain nicht zustande kommen können.
Der aktuelle Stand
An der ausserordentlichen GV steht und fällt der Ausgang erneut mit der Stimmrechtsbeschränkung. Wie am Vormittag bekannt worden ist, wird der VR auch an der heutigen Veranstaltung auf dieses Mittel zurückgreifen.
Konkret erfolgt die Stimmrechtsbeschränkung für die Abwahl der Verwaltungsräte Monika Ribar, Paul Hälg und Daniel Sauter und für die Zuwahl von Max Roesle in das Gremium als dessen Präsident. Damit dürften sich die Kräfteverhältnisse im VR nicht oder nur unbedeutend verändern. Aktuell sitzen drei Verwaltungsräte für die Familie im Gremium ein. Sechs Verwaltungsräte vertreten ebenda die Interessen ihrer Opponenten.
An der GV steht auch die Vergütung der Verwaltungsräte auf der Traktandenliste. Währenddessen mehren sich die Stimmen für oder gegen eine Übernahme. Die jüngste stammt von der Europäischen Kommission. Sie billigt die Übernahme von Sika durch Saint Gobain «ohne Bedingungen».